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Mandantenbrief 06/2022

Inhalt:
  1. Für alle Steuerpflichtigen: Müllabfuhr und Schmutzwasserentsorgung sind keine haushaltsnahen Dienstleistungen
  2. Für alle Steuerpflichtigen: Besteuerung eines beim Tod des Beschwerten fälligen Vermächtnisses
  3. Für alle Steuerpflichtigen: Zum Verbrauch des ermäßigten Steuersatzes
  4. Für alle Steuerpflichtigen: Einstellung von Steuerstrafverfahren jetzt auch durch gemeinnützige Arbeit
  5. Alle Steuerpflichtigen: Steuerfreie Zuschläge für tatsächlich an Sonn-, Feiertagen oder zur Nachtzeit geleistete Arbeit
  6. Für GmbH-Gesellschafter: Verdeckte Gewinnausschüttung aufgrund einer Überversorgung bei einer Pensionszusage
  7. Für GmbH-Gesellschafter: Keine erbschaftsteuerliche Begünstigung wegen des Einstiegstests
  8. Für Immobilien Eigentümer: Fristbeginn beim privaten Veräußerungsgeschäft
  9. Für GmbH-Gesellschafter: Gestaltungsmöglichkeiten aus einer gespaltenen Gewinnverwendung

1. Für alle Steuerpflichtigen: Müllabfuhr und Schmutzwasserentsorgung sind keine haushaltsnahen Dienstleistungen

Entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 35a Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer für bestimmte im Gesetz aufgeführte haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse oder für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen, die nicht Dienstleistungen nach Abs. 3 sind, auf Antrag um 20 %, höchstens jedoch um 4.000 Euro, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen. Dabei ist zu beachten, dass der Abzug von der tariflichen Einkommensteuer nur für Arbeitskosten gilt.

Der Begriff „haushaltsnahe Dienstleistungen“ ist gesetzlich nicht näher bestimmt. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist unter dem Begriff des Haushalts die Wirtschaftsführung mehrerer (in einer Familie) zusammenlebender Personen oder einer einzelnen Person zu verstehen. Das Wirtschaften im Haushalt umfasst Tätigkeiten, die für die Haushaltsführung oder die Haushaltsmitglieder erbracht werden. Hauswirtschaftliche Tätigkeiten diesem Sinne sind solche, die üblicherweise zur Versorgung der dort lebenden Familien in einem Privathaushalt erbracht werden. Dazu gehören beispielsweise Einkaufen von Verbrauchsgütern, Kochen, Wäschepflege, Reinigung und Pflege der Räume, des Gartens und auch Pflege, Versorgung und Betreuung von Kindern und kranken Haushaltsangehörigen.

Haushaltsnahen Leistungen sind solche, die eine hinreichende Nähe zur Haushaltsführung haben bzw. damit in Zusammenhang stehen. Das sind Tätigkeiten, die gewöhnlich durch die Mitglieder des privaten Haushalts oder entsprechende Beschäftigte erledigt werden und in regelmäßigen Abständen anfallen. Insoweit sind die Begriffe haushaltsnah und hauswirtschaftlich sinnverwandt, wie bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 1.2.2007 unter dem Aktenzeichen VI R Ziffer 77/05 herausgearbeitet hat.

In diesem Sinne bilden handwerkliche Tätigkeiten im Haushalt, die im Regelfall nur von Fachkräften durchgeführt werden, keine haushaltsnahen Dienstleistungen. So auch das zuvor genannte Urteil des Bundesfinanzhofs.

Bestätigt wird diese Auffassung durch die teleologische Auslegung des § 35a EStG. Nach der Gesetzesbegründung sollen mit der Steuerermäßigung Dienstleistungen in privaten Haushalten gefördert werden, um einen Anreiz für Beschäftigungsverhältnisse im Privathaushalt zu schaffen und die Schwarzarbeit in diesem Bereich zu bekämpfen. Die Steuerermäßigung soll für haushaltsnahe Tätigkeiten gewährt werden, die nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erbracht werden. Haushaltsnahe Tätigkeiten, so die Gesetzesbegründung, sind: die Zubereitung von Mahlzeiten im Haushalt, die Reinigung der Wohnung des Steuerpflichtigen, die Gartenpflege und die Pflege, Versorgung und Betreuung von Kindern, Kranken, alten Menschen und pflegebedürftigen Personen. So geht es exakt aus der seinerzeitigen Bundestagsdrucksache zur Gesetzesbegründung hervor.

Diese Gesetzesbegründung macht daher nach Auffassung des Finanzgerichtes Münsters deutlich, dass nach der Intention des Gesetzgebers nur hauswirtschaftliche Arbeiten begünstigt werden sollen. Mit der politisch motivierten Steuerermäßigung soll die Erledigung typischer hauswirtschaftlicher Dienstleistungen durch Dritte gefördert werden. Nicht gefördert werden sollen hingegen sonstige Dienstleistungen, die regelmäßig nicht von Haushaltsangehörigen, sondern von Dritten erledigt werden.

Unter Berücksichtigung dieser grundsätzlichen Einordnung liegen in Bezug auf die Entsorgung von Müll und die Ableitung von Schmutzwasser nach Auffassung des erstinstanzlichen Finanzgerichtes Münster mit Urteil vom 24.2.2022 unter dem Aktenzeichen 6 K 1946/21 E keine haushaltsnahen Dienstleistungen vor. Denn im Zusammenhang mit der Entsorgung von Müll und Abwasser erbrachte Dienstleistungen werden typischerweise nicht von Haushaltsangehörigen erledigt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die von der Stadt erhobenen Abgaben gerade nicht die Eigenleistung des Steuerpflichtigen auf seinem Grundstück betreffen, sondern die originär von der Stadt zu erbringenden Leistungen, die im Rahmen kommunaler Satzungen geregelt und diesen durch die Abfall- und Wassergesetze des Landes zugewiesen sind. Hierbei handelt es sich um Aufgaben, die auch aufgrund ihres Umfangs und der dafür erforderlichen Infrastruktur typischerweise von Städten und Gemeinden und nicht von Haushaltsangehörigen übernommen werden.

Darüber hinaus setzt die Inanspruchnahme der Steuerermäßigung voraus, dass das Beschäftigungsverhältnis oder die Dienstleistung in einem in der Europäischen Union oder den Europäischen Wirtschaftsraum liegenden Haushalt des Steuerpflichtigen ausgeübt oder erbracht wird. Der Leistungsort befindet sich dann im Haushalt, wenn die Leistung in dessen räumlichen Bereich erbracht wird. Der Begriff „im Haushalt“ ist insofern räumlich-funktional auszulegen, wie bereits der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 20.3.2014 unter dem Aktenzeichen VI R 56/12 dargelegt hat. Zahlreiche weitere Entscheidungen sind mittlerweile auf dieser Linie ergangen. Danach werden die Grenzen des Haushaltes zwar nicht ausnahmslos durch die Grundstücksgrenzen abgesteckt. Vielmehr kann auch die Inanspruchnahme von haushaltsnahen geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen und haushaltsnahen Dienstleistungen, die jenseits der Grundstücksgrenze auf fremdem, beispielsweise öffentlichem Grund erbracht werden, begünstigt sein. So beispielsweise die Schneeräumung auf Gehwegen. Allerdings muss es sich dabei um Leistungen handeln, die in unmittelbarem räumlichem Zusammenhang zum Haushalt durchgeführt werden und dem Haushalt dienen. Leistungen außerhalb des Haushaltes sind demgegenüber nicht begünstigt, selbst wenn sie für den Haushalt erbracht werden.

Bei Anwendung all dieser Grundsätze sind Aufwendungen für Müllabfuhr und Abwasserbeseitigung nicht als haushaltsnahe Dienstleistungen zu berücksichtigen. So zumindest die aktuelle Entscheidung des Finanzgerichts Münster vom 24.2.2022.

Hinweis: Erfreulicherweise ist der hier klagende Steuerpflichtige wegen der negativen Entscheidung des Finanzgerichts Münster in Revision gezogen. Beim Bundesfinanzhof wird das Verfahren unter dem Aktenzeichen VI R 8/22 geführt. Unseres Erachtens sind die Erfolgschancen zwar gering, dennoch muss gesagt werden: Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. Wer daher ein in der Regel relativ unaufwändiges Einspruchsverfahrens nicht scheut, kann sich durchaus unter Verweis auf das Musterverfahren daran anhängen.

2. Für alle Steuerpflichtigen: Besteuerung eines beim Tod des Beschwerten fälligen Vermächtnisses

Der Bundesfinanzhof in München musste klären, von wem ein zweitberufener Vermächtnisnehmer das Vermächtnis erwirbt, wenn der erstberufene Vermächtnisnehmer bereits verstorben ist. In einer gut begründeten Entscheidung vom 31.8.2021 unter dem Aktenzeichen II R 2/20 nimmt der Bundesfinanzhof dazu ausführlich und sehr aufschlussreich Stellung. Unter anderem heißt es in der Entscheidung wie folgt:

Das Vermächtnis stellt erbschaftsteuerrechtlich einen Erwerb von Todes wegen dar. Vermächtnisse, die beim Tod des Beschwerten fällig sind, werden über eine Gleichstellung mit den Nacherbschaften erbschaftsteuerrechtlich im Wesentlichen so behandelt wie Vermächtnisse, die beim Tod des Beschwerten anfallen.

Der Anfall der Nacherbschaft gilt grundsätzlich als Erwerb vom Vorerben. Während zivilrechtlich der Vorerbe und der Nacherbe zwar nacheinander, aber beide vom ursprünglichen Erblasser erben, gilt erbschaftsteuerlich der Vorerbe als Erbe. Geregelt ist dies nicht nur aufgrund der Vorschrift in § 6 Abs. 1 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG), sondern es ergibt sich auch aus der höchstrichterlichen Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 13.4.2016 unter dem Aktenzeichen II R 55/14.

Der Erwerb des Vorerben unterliegt in vollem Umfang und ohne Berücksichtigung der Beschränkung durch das Nacherbenrecht der Erbschaftsteuer, wie bereits der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 23.8.1995 unter dem Aktenzeichen II R 88/92 herausgearbeitet hat. Bei Eintritt der Nacherbfolge haben diejenigen, auf die das Vermögen übergeht, den Erwerb als vom Vorerben stammend zu versteuern. Die Vorschrift fingiert für erbschaftsteuerrechtliche Zwecke, dass der Nacherbe Erbe des Vorerben wird. Auf Antrag ist der Versteuerung das Verhältnis des Nacherben zum Erblasser zugrunde zu legen.

Die gesetzliche Regelung in § 6 Absatz 4 ErbStG überträgt diese Systematik auf Vorvermächtnisse und Nachvermächtnisse sowie auf Vermächtnisse, die erst mit dem Tod des Beschwerten fällig werden. Ausweislich der ersten Alternative der vorgenannten Regelungen stehen Nachvermächtnisse den Nacherbschaften gleich. Ebenso wie zivilrechtlich Vorvermächtnisnehmer und Nachvermächtnisnehmer entsprechend dem Vorerben und Nacherben behandelt werden, fingiert die Vorschrift für erbschaftsteuerliche Zwecke, dass der Nachvermächtnisnehmer das Vermächtnis vom Vorvermächtnisnehmer erwirbt. Sowohl bei Anfall des Vorvermächtnisses als auch bei Anfall des Nachvermächtnisses entsteht daher Erbschaftsteuer.

Wird der Vorvermächtnisnehmer entsprechend der Regelung in § 6 Abs. 1 ErbStG als Vermächtnisnehmer nach dem ursprünglichen Erblasser behandelt, unterliegt sein Vermächtniserwerb der Erbschaftsteuer, ohne dass die Beschränkungen durch das Nachvermächtnisses berücksichtigt werden können. Der Nachvermächtnisnehmer hat entsprechend der Regelung in § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG bei Eintritt des Nachvermächtnisfalls den Erwerb seines Vermächtnisses als vom Vorvermächtnisnehmer stammend zu besteuern und kann nur auf Antrag der Versteuerung sein Verhältnis zum Erblasser zugrunde legen.

Entsprechend der Alternative zwei in § 6 Abs. 4 ErbStG stehen ferner beim Tod des Beschwerten fällige Vermächtnisse und Auflagen den Nacherbschaften gleich. Diese Vorschrift spricht das sogenannte betagte Vermächtnis an, dass zwar mit dem Erbfall entsteht, dessen Fälligkeit jedoch auf einen späteren Termin hinausgeschoben ist, wie bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 20.10.2015 unter dem Aktenzeichen VIII R 40/13 geklärt hat.

Der durch ein solches betagtes Vermächtnis Beschwerte gilt als Vermächtnisnehmer nach dem Erblasser. Der Vermächtnisnehmer des betagten Vermächtnisses erwirbt vom Beschwerten. Der Tod des Beschwerten ist somit für die Erbschaftsteuer des Vermächtnisnehmers keine aufschiebende Bedingung für die Entstehung der Steuer, sondern begründet erst den steuerbaren Tatbestand. Die beschriebene zweite Alternative gilt mangels anderweitiger Anordnung auch dann, wenn das Vermächtnis nicht nur betagt, sondern zivilrechtlich zudem ein Nachvermächtnis ist. Auf Antrag ist wiederum die Besteuerung im Verhältnis zum Erblasser zugrunde zu legen.

Ist ein Vermächtnis erst mit dem Tod des beschwerten Erben fällig und ein zweiter Vermächtnisnehmer für den Fall bestimmt, dass der erste Vermächtnisnehmer vor Fälligkeit des Vermächtnisses verstirbt, erwirbt der zweitberufene Vermächtnisnehmer von dem beschwerten Erben, nicht aber vom erstberufenen Vermächtnisnehmer. Zeitpunkt des Erwerbs ist der Tod des Erben. Ob zivilrechtlich die beiden Verhältnisse als Vorvermächtnis und Nachvermächtnis zu qualifizieren sind, ist für Zwecke der Erbschaftsteuer nicht erheblich.

Der Tod des Erblassers führt noch nicht zu einem steuerbaren Vermächtniserwerb. Ungeachtet der Frage, ob der erste Vermächtnisnehmer zivilrechtlich ein Vorvermächtnis erworben hat, ist dieses erbschaftsteuerrechtlich entsprechend der zweiten Alternative nicht zu berücksichtigen. Aus demselben Grund ist mit dem Tod des ersten Vermächtnisnehmers hinsichtlich des Vermächtnisses kein erbschaftsteuerbarer Tatbestand bei dem zweiten Vermächtnisnehmer verwirklicht. Solange der beschwerte Erbe noch lebt, ist das Vermächtnis noch nicht fällig.

Ist mit dem Tod des beschwerten Erben schließlich das Vermächtnis fällig geworden, liegt erbschaftsteuerrechtlich bei dem zweiten Vermächtnisnehmer ein der Nacherbschaft gleichstehender Erwerb vor. Der beschwerte Erwerber steht dem Vorerben gleich und gilt als Erbe. Der zweite Vermächtnisnehmer steht dem Nacherben gleich und hat das Vermächtnis mit diesem Zeitpunkt als vom beschwerten Erben stammend zu versteuern. Auf Antrag ist der Besteuerung das Verhältnis zu dem ursprünglichen Erblasser zugrunde zu legen.

Nach diesen Rechtsgrundsätzen kommt der Bundesfinanzhof schließlich in seinen Leitsätzen zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass der Vermächtnisnehmer eines beim Tod des Beschwerten fälligen Vermächtnisses erbschaftsteuerrechtlich vom Beschwerten erwirbt. Fällt der erstberufene Vermächtnisnehmer vor Fälligkeit des Vermächtnisses weg, erwirbt der zweitberufene Vermächtnisnehmer ebenfalls vom Beschwerten und nicht vom erstberufenen Vermächtnisnehmer.

3. Für alle Steuerpflichtigen: Zum Verbrauch des ermäßigten Steuersatzes

Mit Entscheidung vom 28.9.2021 hat der Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen VIII R 2/19 entschieden, dass die antragsgebundene Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG), die der Steuerpflichtige nur einmal im Leben in Anspruch nehmen kann, auch dann verbraucht ist, wenn das Finanzamt die Vergünstigung zu Unrecht gewährt hat. Dies soll ausweislich der Entscheidung selbst dann gelten, wenn dies ohne Antrag des Steuerpflichtigen geschieht und ein Betrag begünstigt besteuert wird, bei dem es sich tatsächlich nicht um einen Veräußerungsgewinn handelt, der die Steuervergünstigung rechtfertigen würde.

Etwas anderes soll ausweislich der drakonischen Entscheidung des Bundesfinanzhofs nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nur dann gelten, wenn die falsche Gewährung der Vergünstigung in dem früheren Bescheid für den Steuerpflichtigen angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung und wegen des Fehlens eines Hinweises des Finanzamtes nicht erkennbar war.

Insgesamt ist die Entscheidung des Bundesfinanzhofs durchaus bedenklich, weshalb ein genauerer Blick auf die Urteilsbegründung lohnt.

Außerordentliche Einkünfte werden regelmäßig ermäßigt besteuert. Alternativ zu dieser grundsätzlichen Regelung, welche in den Abs. 1 und 2 des § 34 EStG beheimatet sind, gewährt Abs. 3 speziell für Veräußerungsgewinne auf Antrag eine Steuersatzermäßigung, wenn der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet hat oder wenn er im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig ist. Das Besondere daran: Diese Ermäßigung kann der Steuerpflichtige nur einmal im Leben in Anspruch nehmen.

Ausweislich der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist eine antragsgebundene Steuervergünstigung, die dem Steuerpflichtigen nur einmal gewährt werden kann, für die Zukunft auch dann verbraucht, wenn die Vergünstigung vom Finanzamt zu Unrecht gewährt worden ist. Dies soll auch gelten, wenn insbesondere ein erforderlicher Antrag vom Steuerpflichtigen nicht gestellt wurde. Entscheidend ist in den Augen der Rechtsprechung allein, dass sich die Vergünstigung auf die frühere Steuerfestsetzung ausgewirkt hat und sie dort nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Wenn der Steuerpflichtige sich die Möglichkeit vorbehalten möchte, die Vergünstigung in einem späteren Jahr in Anspruch zu nehmen, muss er die Steuerfestsetzung anfechten, in der die Vergünstigung zu Unrecht gewährt worden ist.

Nach höchstrichterlicher Auffassung braucht der Steuerpflichtige sich die rechtswidrige Gewährung der Vergünstigung in einem Vorjahr nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nur dann nicht entgegenhalten zu lassen, wenn für ihn angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung und des Fehlens eines Hinweises im Bescheid nicht erkennbar gewesen ist, dass das Finanzamt die Vergünstigung ohne den erforderlichen Antrag gewährt hatte. Zu solchen Fällen hat der Bundesfinanzhof bereits mit Urteil vom 21.7.2009 unter dem Aktenzeichen X R 2/09 sowie in seinem Beschluss vom 1.12.2015 unter dem Aktenzeichen X B 111/15 Stellung genommen.

Die höchstrichterliche Rechtsprechung differenziert dabei weder danach, ob oder aus welchem Grund die Vergünstigung zu Unrecht gewährt wurde. Noch geht sie davon aus, dass für eine Inanspruchnahme der Ermäßigung ein entsprechender Antrag des Steuerpflichtigen erforderlich ist. Ein Verbrauch des ermäßigten Steuersatzes wird daher auch dann angenommen, wenn kein begünstigungsfähiger Veräußerungsgewinn vorgelegen hat und kein Antrag des Steuerpflichtigen auf Gewährung der Vergünstigung gestellt wurde! Maßgeblich für den Verbrauch der Vergünstigung ist allein, dass der Steuerpflichtige den ihn begünstigenden Irrtum des Finanzamtes erkennt und belegt.

Die Auffassungen im Schrifttum sind dazu durchaus geteilt. Auf der einen Seite wird die Auffassung vertreten, dass ein entsprechender Verbrauch wie zuvor geschildert stattfindet. Allerdings wird auch vertreten, dass der ermäßigte Steuersatz sich zumindest dann nicht verbraucht, wenn es an einem Veräußerungsgewinn fehlt und er daher nicht hätte in Anspruch genommen werden können.

Der vorliegende Senat des Bundesfinanzhofs, der (wie er selbst sagt) der Rechtsprechung (nur) aus Gründen der Rechtsprechungskontinuität folgt, vertritt ebenfalls die Meinung, dass das Normverständnis, wonach ein Verbrauch eintritt, vom Wortlaut der gesetzlichen Regelung gedeckt ist.

Dieser ist nämlich nicht zu entnehmen, dass der Verbrauch der Vergünstigung nur eintritt, wenn die Tarifermäßigung für einen tatsächlich erzielten Veräußerungsgewinn in Anspruch genommen wird. Aus dem Wortlaut ist auch nicht herzuleiten, dass eine zum Verbrauch führende Inanspruchnahme der Vergünstigung nur vorliegt, wenn der Steuerpflichtige einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Die Formulierung „in Anspruch nehmen“ verdeutlicht nach Auffassung des erkennenden Senates zwar, dass das Gesetz dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht einräumt, zwingt aber nicht zu der Annahme, für eine Inanspruchnahme sei aktives Handeln des Steuerpflichtigen erforderlich. Ein solches wird aufgrund des Antragserfordernisses zwar regelmäßig vorliegen. In Anspruch genommen wird die Vergünstigung aber auch dann, wenn das Finanzamt fälschlicherweise vom Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Vergünstigung ausgeht und der Steuerpflichtige diese für ihn günstige Entscheidung billigt.

Zudem führt der Bundesfinanzhof aktuell weiter aus, dass sein Normverständnis auch nicht im Widerspruch zu Sinn und Zweck der Begünstigung steht. Der Gesetzgeber möchte mit der Regelung den anlässlich seines Ausscheidens aus dem Berufsleben erzielten Gewinn des Steuerpflichtigen zur Sicherung der Altersvorsorge steuerlich begünstigen. Der Steuerpflichtige soll alternativ zur Begünstigung in § 34 Abs. 1 EStG den halben durchschnittlichen Steuersatz in Anspruch nehmen können. So ergibt es sich aus der damaligen Bundestagsdrucksache. Allerdings soll dies nur einmal im Leben möglich sein. Demnach soll der Steuerpflichtige nicht mehrfach in den Genuss der Vergünstigung kommen. Dies wäre jedoch der Fall, wenn eine zu Unrecht gewährte und vom Steuerpflichtigen gebilligte Ermäßigung, die sich endgültig mindernd auf die Steuerfestsetzung ausgewirkt hat, nicht zu deren Verbrauch führt. Daher kommen die obersten Finanzrichter der Republik zu dieser drakonischen Entscheidung.

Hinweis: Fraglich ist, ob dies tatsächlich im Einklang mit der Verfassung steht. Immerhin gilt zu bedenken, dass im abgeurteilten Sachverhalt der Steuerpflichtige weder einen Antrag auf die ermäßigte Besteuerung gestellt hat noch überhaupt einen entsprechenden Veräußerungsgewinn erzielt hatte. Insgesamt ist der Vorgang damit allein und vollkommen ausschließlich auf einen Fehler des Finanzamtes zurückzuführen. Nur aus der Tatsache heraus, dass der Steuerpflichtige diesen Fehler erkannt haben soll und dementsprechend gebilligt hat, soll nun bei einem wirklichen Antrag und einem tatsächlichen Veräußerungsgewinn der ermäßigte Steuersatz nicht mehr angewendet werden dürfen. Dies hat schon ein gewisses Geschmäckle. Ob ein Verfassungsverstoß gegeben ist, bleibt dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorbehalten, jedoch ist derzeit insoweit (leider) keine Anhängigkeit zu erkennen.

4. Für alle Steuerpflichtigen: Einstellung von Steuerstrafverfahren jetzt auch durch gemeinnützige Arbeit

Was sich sicherlich gut anhört, muss jedoch auch direkt ein wenig eingeschränkt werden. Zunächst einmal regional, denn soweit ersichtlich gelten diese Regelungen nur in Baden-Württemberg. Zudem gilt es sicherlich nicht für alle Steuerstrafverfahren, sondern nur für diejenigen mit geringer Schuld. Lediglich diese können seit dem 1.3.2022 von den Straf- und Bußgeldstellen der Finanzämter (in Baden-Württemberg) auch eingestellt werden, wenn statt eines Bußgeldes gemeinnützige Arbeit geleistet wird. Bislang war eine Einstellung nur gegen Geldzahlung möglich. Das Finanzministerium und das Justizministerium des Landes Baden-Württemberg haben jedoch das Projekt gemeinsam mit dem Netzwerk Straffälligenhilfe auf den Weg gebracht, wodurch erreicht werden soll, dass Steuerhinterzieher auf diese Weise der Gesellschaft etwas zurückgeben können.

Der Finanzminister des Landes Baden-Württemberg sagt dazu: „Steuerstraftaten, wie Steuerhinterziehung, sind ein Betrug an der Allgemeinheit. Wer Steuern hinterzieht, muss deshalb mit einer Verurteilung rechnen. Das kann künftig in bestimmten Fällen durch gemeinnützige Arbeit vermieden werden. Dadurch können Steuerhinterzieher der Gesellschaft auch etwas zurückgeben.“

Die baden-württembergischen Straf- und Bußgeldstellen stellen jährlich rund 2.000 Steuerstrafverfahren bei geringer Schuld ein. Das betrifft Fälle, bei denen Beschuldigten die Zahlung eines Geldbetrags auferlegt wird - und zwar unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Situation. Konnte die Geldauflage nicht gezahlt werden, drohten ein Verfahren und eine Verurteilung zu einer Geldstrafe. Wer diese nicht zahlen konnte, auch nicht in Raten, der musste in Haft.

Um ein Verfahren einzustellen, können die Straf- und Bußgeldstellen künftig entweder - wie bisher - eine Geldauflage oder alternativ dazu auch gemeinnützige Arbeit auferlegen. Dadurch können ein Verfahren und eine Verurteilung vermieden werden. Beim klassischen Strafrecht, beispielsweise bei Betrugs- oder Diebstahlsdelikten, wird dies bereits praktiziert. Nun wird das auch auf das Steuerstrafrecht übertragen. Mit der neuen Regelung werden besagte Steuerstrafverfahren in das landesweite Projekt „Schwitzen statt Sitzen“ aufgenommen.

Eine entsprechende Pilotphase gab es schon bei der Straf- und Bußgeldstelle des Finanzamts Stuttgart II. Unterstützt wurde das Pilotprojekt von der gemeinnützigen GmbH „PräventSozial“. Sie ist eine Mitgliedsorganisation im „Netzwerk Straffälligenhilfe“ in Baden-Württemberg.

Das „Netzwerk Straffälligenhilfe“ kümmert sich in Baden-Württemberg für die Justiz in allen Fällen um die Vermittlung gemeinnütziger Arbeit. Vermittelt werden Personen, denen eine Haft bevorsteht, wenn sie eine Geldstrafe nicht zahlen können. Das Projekt „Schwitzen statt Sitzen“ ermöglicht Verurteilten auf diese Weise, eine Haftstrafe abzuwenden. Ebenso kümmert sich das Netzwerk um die Vermittlung von Verurteilten auf Bewährung und von Beschuldigten bei Verfahrenseinstellungen, die zur Auflage bekommen haben, gemeinnützige Arbeit zu leisten.

5. Alle Steuerpflichtigen: Steuerfreie Zuschläge für tatsächlich an Sonn-, Feiertagen oder zur Nachtzeit geleistete Arbeit

Aufgrund der Vorschrift des § 3b Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind Zuschläge, die für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit neben dem Grundlohn gezahlt werden, steuerfrei, soweit sie bestimmte Prozentsätze des Grundlohns nicht übersteigen.

Grundlohns ist dabei der laufende Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum zusteht. Der laufende Arbeitslohn ist von sonstigen Bezügen abzugrenzen. Laufender Arbeitslohn ist das dem Arbeitnehmer regelmäßig zufließende Arbeitsentgelt, wie beispielsweise Monatsgehalt, Wochen- oder Tageslohn, Überstundenvergütung, laufend gezahlte Zulagen oder Zuschläge und geldwerte Vorteile aus regelmäßigen Sachbezügen. Der regelmäßige laufende Arbeitslohn ist dann im Weiteren in einen Stundenlohn umzurechnen.

Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist auch, dass die Zuschläge neben dem Grundlohn geleistet werden. Sie dürfen hingegen nicht Teil einer einheitlichen Entlohnung für die gesamte, auch an Sonnen- und Feiertagen oder nachts geleisteten Tätigkeiten sein. Hierfür ist regelmäßig erforderlich, dass im Arbeitsvertrag zwischen der Grundvergütung und den Erschwerniszuschlägen unterschieden und ein Bezug zwischen der zu leistenden Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit und der Lohnhöhe hergestellt wird. Zuschläge können daher nach § 3b EStG nur steuerfrei geleistet werden, wenn und soweit sie der Arbeitnehmer für die zuschlagsbewehrte Tätigkeit auch Anspruch auf Grundlohn hat. Denn es muss sich objektiv um ein zusätzliches Entgelt neben dem Grundlohn für entsprechende Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit handeln.

Darüber hinaus muss die Zahlung des Zuschlagszwecks bestimmt erfolgen. Die Steuerbefreiung setzt daher voraus, dass die neben den Grundlohn gewährten Zuschläge für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt sind. Denn durch die Steuerfreiheit soll dem Arbeitnehmer ein finanzieller Ausgleich für die besonderen Erschwernisse und Belastungen der damit verbundenen Arbeitszeiten, die den biologischen und kulturellen Lebensrhythmus stören, gewährt werden. Die Steuerbefreiung der Regelung in § 3b EStG begünstigt somit das zusätzliche Entgelt für die Arbeit zu besonders ungünstigen Zeiten.

Zur tatsächlich geleisteten Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit im Sinne der Vorschrift zählt nicht nur die eigentliche, arbeitsvertraglich geschuldete Berufstätigkeit des Arbeitnehmers, sondern auch jede vom Arbeitgeber zu den begünstigten Zeiten verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit des Arbeitnehmers oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit ist daher jede zu den begünstigten Zeiten tatsächlich im Arbeitgeberinteresse ausgeübte Tätigkeit des Arbeitnehmers, für die er einen Anspruch auf Grundlohn hat, und damit beispielsweise auch das bloße Bereithalten einer tatsächlichen Arbeitsleistung, wenn gerade dieses arbeitsvertraglich geschuldet ist.

Ohne Bedeutung für die Auslegung des Begriffs der tatsächlich geleisteten Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit im Sinne der Regelung ist hingegen die arbeitszeitrechtliche Einordnung der Tätigkeit nach dem Arbeitszeitgesetz. Das Arbeitszeitgesetz soll in erster Linie der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer dienen. Die Herausnahme bestimmter Zeiten aus der Arbeitszeit im Sinne des gesetzlichen Arbeitszeitschutzrechts schließt es folglich nicht aus, die zu diesen Zeiten vom Arbeitnehmer de facto erbrachte Arbeitsleistung als tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit Sinne der gesetzlichen Steuerbefreiung zu qualifizieren. Anderenfalls würde sich der durch das Arbeitszeitgesetz bezweckte Schutz der Arbeitnehmer in sein Gegenteil verkehren.

Zudem erfordert die Steuerfreiheit der Zuschläge grundsätzlich eine Einzelaufstellung der tatsächlich erbrachten Arbeitsstunden an Sonntagen und Feiertagen oder zu Nachtarbeit. Dadurch soll von vorneherein gewährleistet werden, dass ausschließlich Zuschläge steuerfrei bleiben, bei denen betragsmäßig genau feststeht, dass sie nur für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt werden und keine allgemeinen Gegenleistungen für die Arbeitsleistungen darstellen. Hieran fehlt es, wenn die Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit lediglich allgemein abgegolten wird, da hierdurch weder eine Zurechnung der Sache nach für tatsächlich geleistete Arbeit während der begünstigten Zeiten noch der Höhe nach (Steuerfreistellung nur nach Prozentsätzen des Grundlohns) möglich ist.

Nach diesen Maßstäben kommt der Bundesfinanzhof entsprechend der Vorinstanz des Finanzgerichtes Düsseldorf mit Urteil vom 11.7.2019 unter dem Aktenzeichen 14 K 653/17 L zu dem Schluss, dass die Steuerbefreiungsregelung des § 3b EStG für die Steuerfreiheit von Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeitszuschlägen nicht eine konkret individuell belastende Tätigkeit des Arbeitnehmers verlangt. Erforderlich, aber auch ausreichend ist hingegen, dass der Arbeitnehmer eine mit einem Grundlohn bewertete Tätigkeit tatsächlich zu den begünstigten Zeiten ausübt. Dann funktioniert es auch mit der Steuerbefreiung.

6. Für GmbH-Gesellschafter: Verdeckte Gewinnausschüttung aufgrund einer Überversorgung bei einer Pensionszusage

Ausweislich der Regelung in § 8 Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) in Verbindung mit § 6a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) darf für Pensionsverpflichtungen eine steuerwirksame Rückstellung gebildet werden, sofern die im Gesetz genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Entsprechend der Regelung in § 6a Abs. 3 Satz 1 EStG darf die Rückstellung höchstens mit dem Teilwert der Pensionsverpflichtungen angesetzt werden. Ebenso sind ausweislich der Regelungen Erhöhungen oder Verminderungen der Pensionsleistungen nach dem Schluss des Wirtschaftsjahres, die hinsichtlich des Zeitpunkts ihres Wirksamwerdens oder ihres Unterfangens ungewiss sind, bei der Berechnung des Barwerts der künftigen Pensionsleistungen und der Jahresbeträge erst zu berücksichtigen, wenn sie eingetreten sind.

Ausweislich der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in München zur sogenannten Überversorgung ist in der Vorwegnahme künftiger Entwicklungen eine Überversorgung zu sehen, die zur Kürzung der Pensionsrückstellung führt, und zwar typisierend dann, wenn die Versorgungsanwartschaft zusammen mit der Rentenanwartschaft aus der gesetzlichen Rentenversicherung 75 % der am Bilanzstichtag bezogenen Aktivbezüge übersteigt. So die Auffassung des erstinstanzlichen Finanzgerichtes Nürnberg vom 20.4.2021 unter dem Aktenzeichen 1 K 186/92.

Im Hinblick auf die Schwierigkeit, die letzten Aktivbezüge und die zu erwartenden Sozialversicherungsrenten zu schätzen, hat der Bundesfinanzhof zur Prüfung einer möglichen Überversorgung auf die vom Arbeitgeber während der aktiven Tätigkeit des Begünstigten tatsächlich erbrachten Leistungen abgestellt.

Die Verwaltungspraxis hat sich entsprechend des Schreibens des Bundesfinanzministeriums vom 3.11.2004 dieser Auffassung angeschlossen. Einer weiteren Differenzierung der gesetzlichen Rentenversicherung bedarf es bei der hier gebotenen Typisierung nicht, wie bereits der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 20.12.2016 unter dem Aktenzeichen I R 4/15 dargelegt hat.

Nach Auffassung des erstinstanzlichen Gerichtes ist daher der Ansatz eines fiktiven Rentenanspruchs abzulehnen. Denn unter Anwendung der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs steht dieser gerade nicht fest, sondern ist ungewiss. Das Finanzgericht sieht darin insoweit eine Vorwegnahme künftiger Entwicklungen.

Der Grund für diese Sichtweise: Beim Ansatz eines fiktiven Rentenanspruchs wird unterstellt, dass das Arbeitsverhältnis unter den gleichen Bedingungen bis zum Renteneintritt fortbesteht. Bei den bisher vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fällen stand der Renteneintritt des Empfängers der Versorgungszusage kurz bevor und dieser befand sich zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung bereits in Rente bzw. hat keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mehr ausgeführt.

Zudem wird weiterhin bei Annahme eines fiktiven Rentenanspruchs unterstellt, dass sich bis zum Renteneintritt die persönlichen Verhältnisse der Gesellschafterin nicht ändern. Mögliche Entwicklungen hinsichtlich Krankheit, Arbeitslosigkeit, Teilzeittätigkeit, Mutterschutz und Elternzeit, Berufsunfähigkeit oder Tod werden bei der Prognose gänzlich außer Acht gelassen. Der als künftige Altersrente in den Renteninformation ausgewiesenen Betrag enthält hingegen diese Unwägbarkeiten, die in der Realität zu einem erheblich niedrigeren Rentenanspruch der Gesellschafterin führen können.

Ebenso wird außer Acht gelassen, dass eine mögliche Scheidung einer eventuellen bestehenden Ehe erheblichen Einfluss auf die Höhe der zu erwartenden Rente hat. Denn bei einem sogenannten Versorgungsausgleich entsprechend der Regelung in § 1587 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), der bei einer Scheidung verpflichtend durchzuführen ist, werden alle während der Ehezeit erworbenen Rentenansprüche addiert und im Anschluss hälftig geteilt. Die Deutsche Rentenversicherung Bund weist in den Renteninformationen auf die Tatsache hin, in dem sie ausführt, dass „auch wir die Entwicklung nicht vorhersehen“ können.

Weiterhin führt das Gericht aus, dass beim Ansatz eines fiktiven Rentenanspruchs auch der Autonomie eines Gesellschafters nicht genügend Beachtung geschenkt wird. Immerhin könnte sich der Gesellschafter oder die Gesellschafterin für einen vorzeitigen Rentenbeginn unter Abschlägen oder für ein Altersteilzeitmodell entscheiden. Diese zukünftigen, zum jeweiligen Stichtag nicht feststehenden Entwicklungen haben erheblichen Einfluss auf die Höhe der zu erwartenden Rente.

Vor diesem und weiteren Argumenten kommt dementsprechend das erstinstanzliche Finanzgericht Nürnberg zu dem Schluss, dass in der Vorwegnahme künftiger Entwicklungen typisierend dann eine Überversorgung zu sehen ist, die zur Kürzung der Pensionsrückstellung führt. So zumindest, wenn die Versorgungsanwartschaft zusammen mit der Rentenanwartschaft aus der gesetzlichen Rentenversicherung 75 % der am Bilanzstichtag bezogenen Aktivbezüge übersteigt.

Im Hinblick auf die Schwierigkeit, die letzten Aktivbezüge und die zu erwartenden Sozialversicherungsrenten zu schätzen, sagt das Finanzgericht, dass zur Prüfung einer möglichen Überversorgung auf die vom Arbeitgeber während der aktiven Tätigkeit des Begünstigten tatsächlich erbrachten Leistungen abzustellen ist. Im Ergebnis ist daher der Ansatz eines fiktiven Rentenanspruchs abzulehnen, da bei diesem Ansatz zukünftige ungewisse Entwicklungen vorweggenommen werden.

Hinweis: Ob dies jedoch tatsächlich rechtens ist, wird abschließend noch der Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen I R 42/21 zu prüfen haben. Konkret werden die obersten Finanzrichter der Republik die Rechtsfrage beantworten, ob bei der Prüfung, ob im Rahmen einer Pensionszusage eine Überversorgung und damit eine verdeckte Gewinnausschüttung vorliegt, bei einem sozialversicherungspflichtigen Minderheitsgesellschafter auf einen fiktiven Rentenanspruch abzustellen sein kann oder grundsätzlich nur auf die tatsächlich erreichte Sozialversicherungsrentenanwartschaft abgestellt werden darf.

7. Für GmbH-Gesellschafter: Keine erbschaftsteuerliche Begünstigung wegen des Einstiegstests

In der gesetzlichen Regelung des § 13 b Absatz 2 Satz 2 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) ist der als „Einstiegstest“ bekannte Test geregelt. Dabei geht es um die Inanspruchnahme der erbschaftssteuerlichen und schenkungsteuerlichen Begünstigung für Betriebsvermögen. Diese steuerlich sehr bedeutsame Begünstigung ist nämlich von vornherein ausgeschlossen, wenn der nach dieser Vorschrift modifizierte Wert des Verwaltungsvermögens mindestens 90 % des gemeinen Werts des grundsätzlich begünstigungsfähigen Vermögens beträgt.

Vor diesem Hintergrund hat nun der dritte Senat des Finanzgerichtes Münsters in seinem Urteil vom 24.11.2021 unter dem Aktenzeichen 3 K 2174/19 Erb entschieden, dass bei der Übertragung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft die Regelung im Wege teleologischer Reduktion dahingehend einschränkend auszulegen ist, dass sie nicht zur Anwendung kommt, wenn die betreffende Kapitalgesellschaft ihrem Hauptzweck nach einer Tätigkeit im Sinne des § 13 Abs. 1, des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG dient.

Der Urteilssachverhalt gestaltete sich im entschiedenen Verfahren wie folgt: Der Vater der Klägerin des Streitfalls schenkte dieser im Jahr 2017 alle Anteile an einer GmbH, die ein Unternehmen für den Vertrieb von Arzneimitteln und Medizinprodukten betrieb und auch forschend tätig war. Das Geschäftsleitungsfinanzamt stellte den Wert der Anteile an der GmbH auf 555.975 Euro, die Summe der gemeinen Werte der Finanzmittel auf 2.517.649 Euro, die Summe der gemeinen Werte des Verwaltungsvermögens auf 0 Euro und die Summe der gemeinen Werte der Schulden auf 3.138.504 Euro fest.

Der Beklagte versagte wegen des sogenannten Einstiegstests die Begünstigungen gemäß § 13a Abs. 1 und Abs. 2 ErbStG.

Der hiergegen erhobenen Klage hat der 3. Senat des Finanzgerichts Münster nun erfreulicherweise stattgegeben. Zwar ist im Streitfall nach dem Wortlaut des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG die begehrte Begünstigung für Betriebsvermögen vollständig ausgeschlossen, denn das Verwaltungsvermögen von 0 Euro zzgl. der Finanzmittel von 2.577.649 Euro betrage mehr als 90 v. H. des auf 555.975 Euro festgestellten gemeinen Wertes der übertragenen Anteile an der inländischen GmbH.

Die Vorschrift sei aber ihrem Normzweck entsprechend im Wege der teleologischen Reduktion dahingehend einschränkend auszulegen, dass der sogenannte Einstiegstest dann nicht zur Anwendung kommt, wenn die Kapitalgesellschaft, deren Anteile übertragen wird, ihrem Hauptzweck nach einer Tätigkeit im Sinne des § 13 Abs. 1, des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, des § 18 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG diene. Im Streitfall sei der Hauptzweck der Tätigkeit der GmbH ein originär gewerblicher, weshalb der sogenannte Einstiegstest unterbleiben muss.

Mit dieser Auffassung stützt sich der 3. Senat insbesondere darauf, dass es sich bei dem „Einstiegstest“ nach seinem Sinn und Zweck um einen speziellen Missbrauchsvermeidungstatbestand handelt. Es soll solches begünstigungsfähige Vermögen von der Verschonung ausgenommen sein, das nahezu ausschließlich aus Verwaltungsvermögen besteht. Geht die Kapitalgesellschaft aber ihrem Hauptzweck nach einer Tätigkeit i. S. des § 13 Abs. 1, des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 und 2 nach, besteht keine Missbrauchsgefahr. Dies gilt insbesondere für Handels- und Dienstleistungsunternehmen, wie es die GmbH der Klägerin betreibe, die typischerweise einen vergleichsweise hohen Bestand an Forderungen aus Lieferungen und Leistungen aus ihrer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit haben.

Im Gegenteil würden durch eine uneingeschränkte Anwendung des Einstiegstests für solche Unternehmen Anreize gesetzt, entgegen ihrem gewachsenen und üblichen Geschäftsmodell Ausweichgestaltungen oder betriebswirtschaftlich nicht sinnvolle bzw. nachteilige Vorgehensweisen zu wählen, um einen positiven Einstiegstest zu erreichen. Eine teleologische Reduktion des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG in der Weise, dass danach unterschieden werde, welchem Hauptzweck die Tätigkeit der betreffenden Kapitalgesellschaft dient, ist schließlich auch durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geboten.

Hinweis: Gerade wegen der teleologischen Reduktion hat das erstinstanzliche Finanzgericht Münster die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen. Prompt hat die Finanzverwaltung auch den Revisionszug bestiegen und die Revision eingelegt. Das Verfahren ist unter dem Aktenzeichen II R 49/21 anhängig.

Tipp: Betroffenen ist zu raten, sich auf die positive Entscheidung des Finanzgerichts Münsters zu beziehen und bei einem weiterhin ablehnenden Bescheid des Finanzamtes mit Verweis auf das anhängige Revisionsverfahren Einspruch einzulegen.

8. Für Immobilien Eigentümer: Fristbeginn beim privaten Veräußerungsgeschäft

Mit Entscheidung vom 26.10.2021 hat der Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen IX R 12/20 erklärt, dass, wenn der Grundstückskaufvertrag mit einem befristeten Erwerberbenennungsrecht ausgestattet ist, es zur Anschaffung im Sinne des privaten Veräußerungsgeschäftes im Zeitpunkt der Selbstbenennung (Selbsteintritt) kommt, selbst wenn der Benennungsberechtigte das Grundstück mit dem späteren Fristablauf ohnehin automatisch erworben hätte.

Tatsächlich ist dies ein eher außergewöhnlicher Sachverhalt. Dennoch nennt der Bundesfinanzhof in seinen Urteilsgründen zahlreiche wichtige Argumente, die auch bei der allgemeinen Fristberechnung des privaten Veräußerungsgeschäftes anzuwenden sind, was der Entscheidung durchaus eine gewisse Allgemeingültigkeit verleiht.

Insoweit kann daher ausgeführt werden:

Entsprechend der Regelung in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind private Veräußerungsgeschäfte unter anderem Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt.

Für die Berechnung des Zeitraums zwischen Anschaffung und Veräußerung sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs grundsätzlich die Zeitpunkte maßgebend, in denen die obligatorischen Verträge abgeschlossen wurden. Dies hat der Bundesfinanzhof beispielsweise in einer Entscheidung vom 8.4.2014 unter dem Aktenzeichen IX R 18/13 klargestellt.

Entsprechend dem Normzweck, innerhalb der Veräußerungsfrist realisierte Werterhöhungen eines bestimmten Wirtschaftsguts im Privatvermögen der Einkommensteuer zu unterwerfen, kann von einer Verwirklichung des Grundstückswerts nur gesprochen werden, wenn die Vertragserklärungen beider Vertragspartner innerhalb der Veräußerungsfrist bindend abgegeben worden sind. Zwar hat der Bundesfinanzhof auch ein rechtlich bindendes Verkaufsangebot als Veräußerung im Sinne des privaten Veräußerungsgeschäftes gewertet. Dies geschah indes allein in Fällen, in denen mit dem Angebot der Verkauf durch den Übergang von Besitz, Gefahr sowie Nutzungen und Lasten wirtschaftlich bereits vollzogen war. Ist aber bei Abgabe des Verkaufsangebots die Gefahr noch nicht übergegangen und hat der Verkäufer dem Käufer noch kein wirtschaftliches Eigentum verschafft, so müssen beide Vertragserklärungen innerhalb der Frist abgegeben werden. Der Vertragsabschluss muss innerhalb der Veräußerungsfrist für beide Parteien bindend sein. Dem entspricht der für das Steuerrecht im Vordergrund stehende Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit (Gesetzmäßigkeit) der Besteuerung: Nur ein verwirklichter Tatbestand darf nach bestimmten Zeitabständen zugrunde gelegt werden. So auch zuletzt der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 25.3.2021 unter dem Aktenzeichen IX R 10/20.

Bei einem unbedingten und nicht genehmigungsbedürftigen Rechtsgeschäft ist eine solche Bindung regelmäßig mit dem Vertragsabschluss gegeben. Diese Voraussetzungen können aber auch bei einem Rechtsgeschäft vorliegen, dessen Rechtswirkungen von dem Eintritt einer Bedingung abhängen. Aus dem Wesen der Bedingungen und dem Wortlaut folgt, dass das aufschiebend bedingte Rechtsgeschäft tatbestandlich mit seiner Vornahme vollendet und voll gültig ist (die Parteien daher zukünftig bindet) und seine Wirksamkeit mit dem Bedingungsfall eintritt, ohne dass die Willenseinigungen der Parteien noch bis dahin Bestand haben müssen. Nur die Rechtswirkungen des bedingten Rechtsgeschäfts befinden sich bis zum Bedingungseintritt in der Schwebe. Die Parteien eines bedingten Rechtsgeschäfts können die Vertragsbeziehungen nicht mehr einseitig lösen, vielmehr sind sie im Hinblick auf den aufschiebend bedingten Rechtserwerb zur gegenseitigen Treuepflicht und zur Beachtung der Schutzvorschriften verpflichtet.

Hingegen ist bei einem wegen Mitwirkung eines vollmachtlosen Vertreters schwebend unwirksamen —genehmigungsbedürftigen— Rechtsgeschäft nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der Genehmigung. Die Genehmigung wirkt steuerrechtlich nicht auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurück, wie bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 2.10.2001 unter dem Aktenzeichen IX R 45/99 klargestellt hat.

Hängt die zivilrechtliche Wirksamkeit des Vertrags von der Genehmigung eines Dritten ab, so hat dies auf die zivilrechtlich entstandene und von den Vertragsparteien gewollte Bindungswirkung keinen Einfluss, wenn sich die Genehmigung nicht auf die inhaltliche Ausgestaltung des Vertrags oder die Wirksamkeit der Willenserklärungen bezieht, sondern Zwecke verfolgt, die außerhalb des Vertrags liegen, und auf die die Vertragsbeteiligten keinen Einfluss haben.

Nach diesen Maßstäben kommt der Bundesfinanzhof vorliegend zu dem Schluss, dass bereits im Zeitpunkt der Selbstbenennung die Frist des privaten Veräußerungsgeschäfts beginnt. Die Grundsätze, mit denen der Bundesfinanzhof diese Auffassung jedoch herleitet, sind durchaus allgemein anwendbar.

9. Für GmbH-Gesellschafter: Gestaltungsmöglichkeiten aus einer gespaltenen Gewinnverwendung

Gemäß einer viel beachteten Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 28.9.2021 unter dem Aktenzeichen VIII R 25/19 ist ein zivilrechtlich wirksamer Gesellschafterbeschluss, nach dem die Gewinnanteile von Minderheitsgesellschaftern ausgeschüttet werden, der auf den Mehrheitsgesellschafter gemäß seiner Beteiligung entfallende Anteil am Gewinn hingegen nicht ausgeschüttet, sondern in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage eingestellt wird, grundsätzlich auch steuerrechtlich anzuerkennen. Das Besondere an dieser Entscheidung, was auch insbesondere in der Praxis durchaus zu erheblichem Gestaltungspotenzial führen kann, ist, dass eine solche Einstellung in die gesellschafterbezogene Gewinnrücklagen auch beim beherrschenden Gesellschafter nicht zum Zufluss von Kapitalerträgen gemäß § 20 Abs. 1 Nummer 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) führt.

Zukünftig ist es also ohne Probleme möglich, dass bei einer mehrgliedrigen Kapitalgesellschaft ein Ausschüttungsbeschluss getroffen wird, wobei nur derjenige die Ausschüttung tatsächlich erhält (und nur der diese auch versteuern muss), der dies wünscht. Die anderen Gesellschafter können ihren Gewinnanteil in einer gesellschafterbezogenen Gewinnrücklage sozusagen parken und ersparen sich damit die Ausschüttungsbelastung. Entgegen der Auffassung des Finanzamtes und auch der Meinung des erstinstanzlichen Gerichtes subsumiert der Bundesfinanzhof diese Auffassung wie folgt:

Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören insbesondere auch Gewinnanteile, sogenannte Dividenden, und sonstige Bezüge aus Anteilen an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (kurz GmbH). Gewinnanteil in diesem Sinne ist der Anteil an dem offen ausgeschütteten Gewinn der Gesellschaft, der dem Gesellschafter aufgrund seines Gewinnbezugsrechts zugewendet wird. Erfasst werden durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste ausgeschüttete Leistungen, also weder thesaurierte Anteile am Gewinn noch Leistungen, die zu einer Minderung der Anschaffungskosten der Beteiligung führen. Eine offene Gewinnausschüttung ist daher gegeben, wenn und insoweit der Ausschüttung ein Gewinnverwendungsbeschluss zugrunde liegt.

Während die Gesellschafter im Gewinnverwendungsbeschluss darüber entscheiden, ob bzw. inwieweit der Gewinn der GmbH thesauriert oder ausgeschüttet wird, bestimmen sie im Rahmen der Gewinnverteilung, ob der auszuschüttende Gewinn den Gesellschaftern gemäß ihren Geschäftsanteilen zusteht oder ob er anteilsabweichend verteilt wird. Dabei spricht man von der sogenannten disquotalen bzw. inkongruenten Gewinnverteilung.

Entscheiden die Gesellschafter im Rahmen der Gewinnverwendung, dass der Gewinn insgesamt oder zum Teil thesauriert wird, kann dieser in eine (allgemeine) Gewinnrücklage eingestellt oder als Gewinn vorgetragen werden. So sieht es das GmbH-Gesetz in § 29 Abs. 2 GmbHG vor. Die Gesellschafter einer GmbH können im Rahmen der Gewinnverwendung auch beschließen, dass nur die Anteile bestimmter Gesellschafter am Gewinn ausgeschüttet werden, während die Anteile anderer Gesellschafter am Gewinn nicht ausgeschüttet, sondern in gesellschafterbezogene Gewinnrücklagen eingestellt werden. Dabei spricht man von der sogenannten gespaltenen bzw. inkongruenten Gewinnverwendung.

Für spätere Ausschüttungen aus einer solchen gesellschafterbezogenen Gewinnrücklage, die als Unterkonto der Gewinnrücklagen geführt wird, ist erneut ein Beschluss über die Gewinnverwendung zu fassen. Der Gewinn wird in diesem Fall regelmäßig an denjenigen Gesellschafter verteilt, dem die betreffende Rücklage zuzurechnen ist. Auf diesem Weg ist es möglich, den Anteil eines Gesellschafters am Gewinn in der Gesellschaft zu belassen und erst in späteren Jahren an diesen Gesellschafter auszuschütten. Kurz könnte man dies als zeitlich inkongruente Gewinnausschüttung bezeichnen. Der zunächst entstehende Effekt der „zeitlich disquotalen“ Gewinnausschüttung wird bei einer späteren inkongruenten Ausschüttung aus der gesellschafterbezogenen Gewinnrücklage gegebenenfalls ganz oder teilweise ausgeglichen.

Derart gespaltene Gewinnverwendungen sind gesellschaftsrechtlich zulässig, wenn sie nach der Satzung der GmbH möglich sind und die Gesellschafter wirksam einen entsprechenden Beschluss fassen.

Ein zivilrechtlich wirksamer Gesellschafterbeschluss, nachdem die Gewinnanteile von Minderheitsgesellschaftern ausgeschüttet werden, der auf den Mehrheitsgesellschafter gemäß seiner Beteiligung entfallende Anteil am Gewinn hingegen nicht ausgeschüttet, sondern in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage eingestellt wird, ist (ebenso wie eine zivilrechtlich ordnungsgemäß zustande gekommene inkongruente Gewinnausschüttung in Gestalt einer anteilsabweichenden Verteilung des Gewinns) grundsätzlich auch steuerlich anzuerkennen. Wie bei einer vollständigen Thesaurierung besteht kein Grund, den Beschluss der Gesellschafter über eine partielle, nach Gesellschaftern differenzierende Thesaurierung steuerlich nicht anzuerkennen. Ein solcher Grund ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass keine allgemeine, sondern eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage gebildet wird.

Besonders erfreulich an der Entscheidung ist weiter, dass die obersten Finanzrichter der Republik auch direkt erwähnen, dass ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten aufgrund der Regelung des § 42 der Abgabenordnung (AO) nicht vorliegt. Die Tatsache, dass Ausschüttungen an alle Gesellschafter möglich gewesen wären, genügt nicht, um den zivilrechtlich wirksamen Gesellschafterbeschlüssen die steuerrechtliche Anerkennung zu versagen, so der Bundesfinanzhof wortwörtlich in der vorliegenden Entscheidung.

Die partiellen Gewinnthesaurierungen dienen der Innenfinanzierung bzw. der Selbstfinanzierung und beruhen auf anzuerkennenden wirtschaftlichen Gründen. Es ist weder untypisch noch unangemessen, dass Gesellschafter unterschiedliche Interessen an der Ausschüttung von Gewinnen haben und die Gesellschafterversammlung demgemäß entscheidet, dass nur bestimmte Gesellschafter Ausschüttungen erhalten, während der Gewinn im Übrigen vorerst einbehalten wird.

Danach führt ein gesellschaftsrechtlich zulässiger und steuerlich anzuerkennender Beschluss über die gespaltene bzw. inkongruenten Gewinnverwendung nicht zu Gewinnausschüttungen an den Gesellschafter, dessen Anteil am Gewinn thesauriert wird, und insoweit auch nicht zum Zufluss eines Gewinnanteils.

Der Bundesfinanzhof sieht die Sache daher für spruchreif und für vollkommen eindeutig an. Die Gesellschafter der GmbH haben jeweils eine gespaltene Gewinnverwendung und damit in zeitlicher Hinsicht inkongruente Gewinnausschüttungen beschlossen. Sie haben im Einklang mit ihrer Satzung (und damit zivilrechtlich wirksam) ausdrücklich eine „vom Verhältnis der Geschäftsanteile der Gesellschafter abweichende Gewinnausschüttung“ bestimmt und entschieden, dass die Minderheitsgesellschafter an der Gewinnausschüttung teilnehmen, während der jeweilige Anteil des Klägers am Gewinn nicht ausgeschüttet, sondern der personenbezogenen Rücklage zugeführt wird. Entgegen der Auffassung des Finanzamtes ist den Gesellschafterbeschlüssen nicht zu entnehmen, dass das Jahresergebnis insgesamt zur Auszahlung kommen soll. Soweit eine Thesaurierung im Wege der Einstellung in eine personenbezogene Gewinnrücklage erfolgt ist, ist der Gewinn im Eigenkapital der jeweiligen Gesellschaft verblieben, wie der entsprechende finanzielle Ausweis bestätigt.

Damit lässt das oberste Finanzgericht der Republik keinen Zweifel daran, dass die zivilrechtlich wirksamen Gesellschafterbeschlüsse auch steuerlich anzuerkennen sind. Auch die Tatsache, dass es sich im vorliegenden Fall um einen beherrschenden Gesellschafter handelte, steht nach Ansicht des Bundesfinanzhofs der Anerkennung nicht entgegen.

Die Einstellung des auf den beherrschenden Gesellschafter entfallenden Anteils am Gewinn in seiner gesellschafterbezogenen Gewinnrücklage führt nicht zum Zufluss von Kapitalerträgen. Dies folgt bereits daraus, dass auch bei einem beherrschenden Gesellschafter der Beschluss, den Gewinn in Eigenkapital in eine gesellschafterbezogen Gewinnrücklage zu thesaurieren, zur Folge hat, dass er insoweit keinen Gewinnanteil bezieht.

Zum Abschluss seiner Urteilsgründe führt der Bundesfinanzhof sogar noch aus, dass die Ausschüttung eines Gewinnanteils oder eines sonstigen Bezugs auch nicht fingiert werden kann, auch wenn der Fiskus dies sicherlich gerne hätte. Zum einen widerspreche dies der steuerlichen Anerkennung der vorliegenden Beschlüsse über die gespaltene bzw. inkongruente Gewinnverwendung. Zum anderen ist in Höhe des dem jeweiligen Rücklagenkonto zugewiesenen Betrags kein konkreter, auszahlbarer Gewinnanspruch des Klägers entstanden. Der Auszahlungsanspruch entsteht vielmehr erst durch den auf Ausschüttung gerichteten Gewinnverwendungsbeschluss. Da ein solcher nicht gefasst wurde, hat der Gesellschafter gegen die Gesellschaft keine Forderung erlangt, die er aufgrund seiner beherrschenden Stellung jederzeit hätte realisieren können. Der Anteil des Klägers am Gewinn wurde in den Jahresabschlüssen daher zu Recht nicht als Fremdkapital, sondern als Eigenkapital in Form einer Gewinnrücklage ausgewiesen.

Nicht zuletzt erkennt der Bundesfinanzhof die Vorgehensweise an, weil in der Praxis natürlich auch ein Problem damit verbunden ist. Trotz der Stellung als beherrschende Gesellschafter und obgleich für einen erneuten Gewinnverwendungsbeschluss über die Ausschüttung des thesaurierten Betrags nur eine einfache Stimmenmehrheit erforderlich ist, kann der beherrschende Gesellschafter nicht sicher sein, dass er die Ausschüttung der in seinen Rücklagen thesaurierten Gewinne zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich durchsetzen kann. So kann die Realisierung der Ausschüttung aus der personenbezogenen Rücklage im Verlustfall schlimmstenfalls zur Gänze unmöglich werden.

Hinweis: Trotz der Problematik der zukünftigen Verluste bildet die Entscheidung den Boden für in der Praxis wertvolle Gestaltungen. Mit Blick auf die Verluste wird es dabei häufig so sein, dass der beherrschende Gesellschafter auch der Geschäftsführer ist und er sehr gut überblicken kann, ob die Gefahr von Verlusten überhaupt besteht oder in welchem Maße sie besteht. Insoweit kann dieses Risiko klein gehalten werden.

Auf der anderen Seite bietet die Regelung jedoch erhebliche Vorteile. So kann die Ausschüttungsbelastung verhindert werden und zudem durch die Einstellung in die personenbezogene Gewinnrücklage die Bilanz gestärkt werden.

Wir gehen daher davon aus, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von entsprechenden Gestaltungen reger Gebrauch gemacht wird.

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