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Mandantenbrief 08/2022
- Für alle Steuerpflichtigen: Kosten für die Überwinterung in Thailand als außergewöhnliche Belastungen?
- Für alle Steuerpflichtigen: Entlastungsbetrag für bisher Alleinerziehende und dann zusammenveranlagte Ehegatten im Jahr der Eheschließung
- Für Arbeitnehmer: Zur Berücksichtigung von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer
- Für Immobilien-Eigentümer: Zum Nachweis einer kürzeren Restnutzungsdauer bei einem Gebäude
- Für Arbeitnehmer und Arbeitgeber: Sind auch Nebenkosten bei der Steuerbefreiung für Gesundheitsförderung steuerfrei?
- Für Immobilien-Eigentümer: Ermittlung des Gewinns aus einem privaten Veräußerungsgeschäft nach Entnahme aus einem Betriebsvermögen
1. Für alle Steuerpflichtigen: Kosten für die Überwinterung in Thailand als außergewöhnliche Belastungen?
Um die schlechte Nachricht direkt vorwegzunehmen: Die Angabe „in tropischem Klima“ in einem amtsärztlichen Attest reicht zur Bestimmung des Kurortes nicht aus. Dies hat schlicht zur Folge, dass die Kosten für die Überwinterung in Thailand nicht als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig sind. So die nicht verwunderliche Entscheidung der erstinstanzlichen Richter des Finanzgerichtes Münster vom 23.2.2022 unter dem Aktenzeichen 7 K 2261/20 E.
Der Entscheidung, die sich zunächst etwas merkwürdig anhört, lag jedoch ein durchaus realitätsnaher Sachverhalt zugrunde. Ein 70 Jahre alter Kläger hatte im Sachverhalt einen Grad der Behinderung von 90 %. Er litt unter einer Krankheit im fortgeschrittenen Stadium, zudem unter rheumatischen Beschwerden mit starken Schmerzattacken und einer Erkrankung, bei welcher Kältereize als Schmerz empfunden werden.
Ausweislich einer amtsärztlichen Bescheinigung war klargestellt, dass ein Aufenthalt des Klägers in den Wintermonaten in tropischem Klima aus gesundheitlichen Gründen vorteilhaft ist. Die Vermeidung von Kälte und Feuchtigkeit sowie die vermehrte Sonnenbestrahlung führen nämlich zur Linderung der Beschwerden des Klägers. Auch andere Fachärzte bescheinigten insoweit, dass ein Aufenthalt in tropischem Klima im Winter für die Gesundheit des Klägers förderlich ist.
Auf Basis dieser ärztlichen Ratschläge reiste der Kläger im Oktober nach Thailand und überwinterte dort. Die dadurch entstandenen Kosten für auf Miete, Flug, Zug und eine Haushaltshilfe wollte er als außergewöhnliche Belastung in seiner Steuererklärung berücksichtigt wissen. Dabei ist es nicht schwer vorstellbar, dass das Finanzamt nicht ohne weiteres die Kosten für einen winterlichen Thailand-Aufenthalt steuermindernd berücksichtigt. Ebenso wenig ist es nicht überraschend, dass die hiergegen erhobene Klage keinen Erfolg hatte.
Der siebte Senat des Finanzgerichts Münsters hat insoweit ausgeführt, dass Aufwendungen für eine der Behandlung einer Krankheit dienende Reise nur dann als zwangsläufige außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind, wenn die Reise zur Heilung oder Linderung der Krankheit nachweislich notwendig und eine andere Behandlung nicht oder kaum erfolgsversprechend ist. Diese Voraussetzung muss insoweit formalisiert nachgewiesen werden, als dass die Zwangsläufigkeit einer hier helfenden Klimakur durch ein vor Beginn der Heilmaßnahme ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines medizinischen Dienstes der Krankenversicherung nachzuweisen ist.
Der vom Kläger eingereichte amtsärztliche Nachweis entspricht allerdings diesen Anforderungen nicht. Insoweit führt das Gericht weiter aus, dass es gerade in Fällen einer Klimakur unbedingt erforderlich ist, dass ein bestimmter medizinisch angezeigter Kurort und die voraussichtliche Dauer der Kurmaßnahme bescheinigt werden, um eine Abgrenzung zu Erholungsreisen zu gewährleisten und Missbrauch entgegenzuwirken. Die Angabe „in tropischem Klima“ ist für die Bezeichnung des Kurortes hingegen vollkommen unzureichend und zu wenig konkret. Die pauschale Benennung einer Region der Erde reicht insoweit nicht aus, um den strengen formellen Anforderungen für den Abzug der außergewöhnlichen Belastungen zu genügen.
Weiter führt das Gericht aus, dass die Kosten für eine Haushaltshilfe nicht als außergewöhnliche Belastung abgesetzt werden können, weil auch deren Notwendigkeit bzw. die Notwendigkeit einer Begleitperson nicht amtsärztlich bescheinigt worden sind. Zudem stellte das Gericht in einem Nebensatz fest, dass eine Haushaltshilfe keine Begleitperson ist.
Nur nachrichtlich sei insoweit erwähnt, dass die steuermindernde Berücksichtigung der Haushaltshilfe bei den haushaltsnahen Dienstleistungen daran scheitert, dass nur in der Europäischen Union gelegene Haushalte begünstigt sind und es sich hierbei um eine Haushaltshilfe in Thailand handelt. Zudem hat der Kläger die Haushaltshilfe (wie vermutlich in Thailand üblich) in bar bezahlt, was jedoch selbst beim inländischen Haushalt der steuermindernden Berücksichtigung entgegengestanden hätte.
Hinweis:
De facto bedeutet dies nicht, dass nicht auch eine Überwinterung in Thailand als außergewöhnliche Belastung abgezogen werden kann. Allerdings müssen im Vorfeld die formalisierten Spielregeln beachtet werden. So hat der Steuerpflichtige die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen nachzuweisen. Bei Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation deshalb schwer zu beurteilen ist, verlangt § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 EStDV ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung entsprechend der Regelung in § 275 des fünften Sozialgesetzbuches. Ein solcher qualifizierter Nachweis ist auch bei Klimakuren erforderlich. Zudem ist schon ausweislich der Regelungen in der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung erforderlich, dass der medizinisch angezeigte Kurort und die voraussichtliche Dauer der Kur bescheinigt werden.
Sind diese Voraussetzungen gegeben, gelingt auch der vom Fiskus gesponserte Winteraufenthalt in Thailand. Mit Blick auf die hohen Kosten eines solchen Aufenthaltes und die bei Erreichung der Abzugsfähigkeit mögliche Steuerminderung müssen Betroffene daher unbedingt im Vorfeld tätig werden!
2. Für alle Steuerpflichtigen: Entlastungsbetrag für bisher Alleinerziehende und dann zusammenveranlagte Ehegatten im Jahr der Eheschließung
Ausweislich der gesetzlichen Vorschrift in § 24 b Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) können alleinstehende Steuerpflichtige einen Entlastungsbetrag von der Summe der Einkünfte abziehen, wenn zu ihrem Haushalt mindestens ein Kind gehört, für das sie einen Kinderfreibetrag erhalten oder für das ihnen Kindergeld zusteht. Die Regelung bestimmt, dass alleinstehend im Sinne des § 24 b Abs. 1 EStG solche Steuerpflichtigen sind, die nicht die Voraussetzungen für die Anwendung des Splittingverfahrens erfüllen oder verwitwet sind und keine Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen Person bilden, es sei denn, für diese steht ihnen ein Kinderfreibetrag oder Kindergeld zu oder es handelt sich um ein Kind, das einen sozialen Dienst leistet. Die weitere Regelung in § 24 b Abs. 4 EStG regelt, dass sich der Entlastungsbetrag für jeden vollen Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen, welche zuvor genannt wurden, nicht vorgelegen haben, um ein Zwölftel verringert.
Diese vorgenannte Vorschrift ist dahingehend auszulegen, dass auch Steuerpflichtige, die als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende im Jahr der Eheschließung zeitanteilig in Anspruch nehmen können, sofern sie die übrigen Voraussetzungen erfüllen, insbesondere nicht in einer Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen Person leben.
Zwar erwähnt die Regelung des § 24 b Abs. 3 Satz 1 EStG ausdrücklich das Splittingverfahren, auch wenn die Vorschrift lediglich auf die Voraussetzungen für die Anwendung des Splittingverfahrens abstellt und nicht verlangt, dass die Einkommensteuer tatsächlich nach diesem Verfahren bemessen wird. § 24 Abs. 3 Satz 1 EStG verweist jedoch zusätzlich auf die in § 26 Abs. 1 EStG geregelten materiell-rechtlichen Voraussetzungen für beide Formen der Ehegattenveranlagung, nicht aber auf das Erfordernis der Ausübung des Ehegattenwahlrechts sowie die Folgen einer unterbliebenen oder fehlerhaften Wahlrechtsausübung. Insoweit sind ausweislich der Regelungen im Einkommensteuergesetz die Voraussetzungen für die Ehegatten-Veranlagung schon dann für den gesamten Veranlagungszeitraum erfüllt, wenn sie tatsächlich nur zeitweise gleichzeitig gegeben waren. Daraus leiten die Finanzverwaltung und ihr folgend die überwiegenden Stimmen im Schriftentum ab, dass die Gewährung des Entlastungsbetrags in jedem Fall ausgeschlossen ist, wenn Ehegatten der Ehegattenveranlagung unterliegen, und zwar unabhängig davon, ob sie eine Haushaltsgemeinschaft bilden oder nicht.
Dieser Rechtsauffassung möchte jedoch der Bundesfinanzhof in seiner vorliegenden Entscheidung vom 28.10.2021 unter dem Aktenzeichen III R 57/20 nicht folgen. Nach Auffassung der Richter wird dabei nämlich unberücksichtigt gelassen, dass sich der Entlastungsbetrag für jeden Monat, in dem die Voraussetzungen nicht vorliegen, um ein Zwölftel verringert. Einige Stimmen in der Literatur befürworten daher die zeitanteilige Gewährung des Entlastungsbetrags.
Sinn und Zweck des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende sprechen für die Anwendung des Monatsprinzips im Jahr der Eheschließung und damit für die zeitanteilige Gewährung des Entlastungsbetrags, wie das oberste Finanzgericht der Republik in der zuvor genannten Entscheidung vom 28.10.2021 ausführt.
Nach der Gesetzesbegründung diente die Einführung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende dazu, den regelmäßig höheren Lebensführungskosten von Steuerpflichtigen Rechnung zu tragen, die einen gemeinsamen Haushalt nur mit ihren Kindern führen. Es geht dabei um die sogenannten echten alleinerziehenden Steuerpflichtigen. Auch die Materialien zu den späteren Änderungen der Regelung weisen die sogenannten echten Alleinerziehende als Begünstigte aus, welche einen gemeinsamen Haushalt nur mit ihren Kindern und keiner anderen erwachsenen Person führen, die tatsächlich oder finanziell zum Haushalt beiträgt. Außerdem sollte mit der Regelung gewährleistet werden, dass nichteheliche, aber eheähnliche Lebensgemeinschaften nicht in unzulässiger Weise gegenüber Ehepaaren begünstigt und Ehepaare benachteiligt werden. Der Bundesfinanzhof hat insoweit in § 24b EStG eine verfassungsrechtlich nicht gebotene Begünstigung, mithin eine Sozialzwecknorm, gesehen, mit der das Fehlen von Synergieeffekten durch eine gemeinsame Haushaltsführung mit anderen erwachsenen Personen kompensiert werden soll.
In der Situation eines Alleinerziehenden befinden sich auch Steuerpflichtige, die vor der Heirat im Jahr der Eheschließung allein mit ihren berücksichtigungsfähigen Kindern leben und in dieser Zeit die alleinige Verantwortung für Haushalt und Kinder tragen. Die damit typischerweise verbundenen Belastungen entstehen unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für die Anwendung des Splittingverfahrens zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt sind, weil der Steuerpflichtige im selben Veranlagungszeitraum auch einige Tage oder Monate mit seinem Ehegatten zusammenlebt. Die zeitanteilige Entlastung dieser Elternteile entspricht somit dem Gesetzeszweck, wie der Bundesfinanzhof vorliegend herausgearbeitet hat.
Die entstandenen Belastungen entfallen auch nicht rückwirkend durch die Ehegattenveranlagung. Die Anwendung des Splittingverfahrens kompensiert den in der Versagung der Steuerentlastung liegenden Nachteil nicht. Das Splittingverfahren dient dazu, Ehen, in denen sich die Ehepartner für die Möglichkeit der Zusammenveranlagung entschieden haben, unabhängig von der Verteilung des Einkommens zwischen den Ehegatten gleich zu besteuern. Auch soweit im Splittingverfahren der Gedanke der Familienförderung zugrunde liegt, da die mit ihm bezweckte Gleichbehandlung den Spielraum der Ehepartner bei der Ausgestaltung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Lebensführung und der Aufgabenverteilung in der Ehe erweitert, wirkt dies nicht kompensierend, weil die Anwendung des Splittingverfahrens nicht in jedem Fall eine Steuerentlastung der Ehegatten zur Folge hat. Die Entlastungswirkung der Zusammenveranlagung hängt von der Höhe der jeweiligen Einkünfte bei den Ehegatten und vom Progressionssatz ab. Die Zusammenveranlagung wirkt sich kaum aus, wenn beide Ehegatten erwerbstätig sind und die Einkünfte in ähnlicher Höhe erzielen. Im Fall der Einzelveranlagung scheidet ein Ausgleich durch einen etwaigen Splittingvorteil ohnehin aus.
Auch aus der systematischen Stellung der Normen ergibt sich, dass dem Monatsprinzip beim Entlastungsbetrag für alleinerziehende Steuerpflichtige der Vorrang zukommt. Die Regelungen zum Splittingverfahren gehören zu den Tarifvorschriften, die an das zu versteuernde Einkommen anknüpfen. Aufgrund des Charakters der Einkommensteuer als Jahressteuer sind die Besteuerungsgrundlagen auf das Kalenderjahr bezogen zu ermitteln. Die Einkommensteuer wird nach dem Einkommen veranlagt, das der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum bezogen hat. Grundsätzlich bemisst sich die Einkommensteuer dabei nach dem in § 32a Abs. 1 EStG geregelten Tarif. Für den Fall sich innerhalb des Jahres ändernder tatsächlicher Umstände hat der Gesetzgeber entschieden, es für die Gewährung des Splittingtarifs anstelle des Grundtarifs ausreichen zu lassen, wenn die Ehegatten die genannten Voraussetzungen für die Zusammenveranlagung nur während eines Teils des Veranlagungszeitraums gleichzeitig erfüllt haben.
Die Vorschrift des Entlastungsbetrags ist für alleinerziehende Steuerpflichtige dagegen eine Freibetragsregelung, die auf der Ebene der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte anzuwenden ist. Als solche kann sie wegen des geregelten Monatsprinzips differenziert die sich im Laufe des Veranlagungszeitraums ändernden Verhältnisse berücksichtigen. Hierzu zählen nicht nur die Änderungen hinsichtlich der Kinder, sondern ebenso solche, die den Status „alleinerziehend“ betreffen.
Einer zeitanteiligen Gewährung des Freibetrags im Jahr der Eheschließung steht insoweit nach Auffassung der höchstrichterlichen Meinung auch nicht entgegen, dass Verwitwete ausdrücklich in den Anwendungsbereich des Entlastungsbetrags einbezogen werden. Verwitwete können das Splittingverfahren auch noch in dem Veranlagungszeitraum in Anspruch nehmen, der auf das Kalenderjahr folgt, in dem der Ehegatte verstorben ist. Sie befinden sich zugleich aber in der Situation eines echten Alleinerziehenden, d. h. leben in einer Erziehungsgemeinschaft, zu der nur ein Erwachsener gehört, und unterliegen mithin typischerweise den Belastungen, deren Ausgleich der Entlastungsbetrag dienen soll. Ihre Berücksichtigung ist daher folgerichtig und lässt nicht eindeutig den Schluss zu, dass der Gesetzgeber Steuerpflichtige, die der Ehegattenveranlagung unterliegen, aus dem Anwendungsbereich des Entlastungsbetrag für Alleinerziehende ausnehmen wollte.
Zu guter Letzt wirft der Bundesfinanzhof in seiner Urteilsbegründung auch noch einen Blick auf die Verfassung. Die vom Gericht zuvor als zutreffend angesehene Auslegung der Regelung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende vermeidet nämlich mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich bedenkliche Ergebnisse.
Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) enthält einen besonderen Gleichheitssatz, der verbietet, Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen. Insoweit untersagt die Regelung eine Benachteiligung von Ehegatten gegenüber ledigen Steuerpflichtigen, von Eltern gegenüber kinderlosen Steuerpflichtigen und von ehelichen gegenüber anderen Erziehungsgemeinschaften. Dieses Benachteiligungsverbot steht einer belastenden Differenzierung entgegen, die an die Existenz einer Ehe oder die Wahrnehmung des Elternrechts in ehelicher Erziehungsgemeinschaft anknüpft.
Die zeitanteilige Gewährung des Freibetrags für Alleinerziehende verhindert eine Benachteiligung von alleinerziehenden Steuerpflichtigen, die im Laufe eines Jahres mit dem späteren Ehepartner zusammenziehen und in diesem Jahr die Ehe eingehen. Sie dürfen steuerrechtlich nicht benachteiligt werden im Vergleich zu Steuerpflichtigen, die erst im darauffolgenden Jahr heiraten und die im Jahr des Zusammenziehens die zeitanteilige Gewährung des Entlastungsbetrags zweifelsfrei beanspruchen können.
Vor diesem Hintergrund gewährt aktuell der Bundesfinanzhof den beiden Klägern jeweils den Entlastungsbetrag für alleinerziehende Steuerpflichtige ungekürzt, da die Voraussetzungen hierfür in jedem Kalendermonat vorgelegen haben. Nach den Feststellungen des Finanzgerichtes lebten sowohl der Kläger als auch die Klägerin im Streitjahr bis zu ihrer Eheschließung im Dezember in einem eigenen Haushalt jeweils allein mit ihren die Erstausbildung absolvierenden Kindern.
Zusammengefasst könnte man daher die Entscheidung wie folgt auf den Punkt bringen: Steuerpflichtige, die als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, können den Entlastungsbetrag für alleinerziehende Steuerpflichtige im Jahr der Eheschließung zeitanteilig in Anspruch nehmen, sofern sie die übrigen Voraussetzungen der Regelung erfüllen, insbesondere nicht in einer Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen Person leben.
Hinweis:
Ebenfalls mit Entscheidung vom 28.10.2021 haben die obersten Finanzrichter der Republik unter dem Aktenzeichen III R 17/20 sich auch noch mit der Frage beschäftigt, ob der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende für einzeln veranlagte Ehegatte im Trennungsjahr gewährt werden kann. Auch hier kommen die Richter zu einer positiven Entscheidung: Steuerpflichtige, die als Ehegatten einzeln zur Einkommensteuer veranlagt werden, können den Entlastungsbetrag für alleinerziehende Steuerpflichtige im Jahr der Trennung zeitanteilig in Anspruch nehmen, sofern sie die Voraussetzungen des § 24b EStG erfüllen, insbesondere nicht in einer Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen, in § 24b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EStG genannten Person leben.
Da die Urteilsbegründung in weiten Teilen der vorgenannten Entscheidung ähnelt und sich insoweit nur marginal unterscheidet, sei an dieser Stelle nicht weiter auf die Hintergründe eingegangen. Betroffenen kann jedoch ein Studium der Urteilsbegründung der Entscheidung durchaus nützlich sein.
3. Für Arbeitnehmer: Zur Berücksichtigung von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer
Mit einer schon älteren Entscheidung vom 3.4.2019 hat der Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen VI R 46/17 zu den Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer einer Flugbegleiterin Stellung genommen. Das Besondere an der Entscheidung: Das Urteil stammt bereits aus April 2019 und war seit dem 25.7.2019 als nicht veröffentliche Entscheidung abrufbar, wurde jedoch nun nachträglich zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt.
Grund genug, sich mit der Entscheidung genauer auseinanderzusetzen. Schon im Leitsatz stellen die obersten Finanzrichter klar, dass der Begriff des häuslichen Arbeitszimmers voraussetzt, dass der jeweilige Raum ausschließlich oder nahezu ausschließlich für betriebliche bzw. berufliche Zwecke genutzt wird. Unerheblich ist hingegen, ob ein häusliches Arbeitszimmer für die Tätigkeit überhaupt erforderlich ist. Für die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen genügt die Veranlassung durch die Einkünfteerzielung.
Nachdem nun einmal der Tenor des Urteils bekannt ist, lohnt im Weiteren jedoch auch noch ein Blick in die Urteilsbegründung. Hierin heißt es unter anderem: Grundsätzlich kann ein Steuerpflichtiger die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht als Werbungskosten abziehen. Von diesem Grundsatz gibt es jedoch Ausnahmen, und die sind die eigentlich interessante Materie. So gilt der Grundsatz nicht, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesem Fall wird die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 1.250 Euro im Veranlagungszeitraum begrenzt. Sofern jedoch das Arbeitszimmer sogar den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet, gilt auch diese Beschränkung nicht, und abweichend vom Grundsatz und der Höchstbetragsregelung können die Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer unbegrenzt zum Abzug gebracht werden.
Häusliches Arbeitszimmer im Sinne dieser Regelung ist dabei ein Raum, der seiner Ausstattung nach der Erzielung von Einnahmen dient und ausschließlich oder nahezu ausschließlich zur Erzielung von Einkünften genutzt wird. Ein häusliches Arbeitszimmer ist in seiner Lage, Funktion und Ausstattung nach in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden und dient vorwiegend der Erledigung gedanklicher, schriftlicher, verwaltungstechnischer oder organisatorischer Arbeiten. Ein solcher Raum ist typischerweise mit Büromöbeln eingerichtet, wobei der Schreibtisch regelmäßig das zentrale Möbelstück ist. Entspricht ein Raum nach seinem äußeren Bild durch seine Einrichtung mit Büromöbeln dem Typus des Arbeitszimmers, muss er überdies nahezu ausschließlich zur Erzielung von Einkünften genutzt werden.
Aufwendungen für gemischt genutzte Räume, die in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden sind und die sowohl zur Erzielung von Einkünften als auch in mehr als nur untergeordnetem Umfang zu privaten Zwecken genutzt werden, sind hingegen insgesamt nicht abziehbar. Dies geht bereits zurück auf einen Beschluss des Großen Senats vom 24.7.2015 unter dem Aktenzeichen GrS 1/14.
Die einkommensteuerliche Regelung zur Absetzbarkeit des Arbeitszimmers bestimmt dabei abschließend, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer abziehbar sind. Weitere Voraussetzungen hinsichtlich der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer regelt das Gesetz insoweit nicht. Die Erforderlichkeit ist kein Merkmal des Abzugsbestandes, wie bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 8.3.2017 unter dem Aktenzeichen IX R 52/14 mit weiteren Verweisen in dessen Urteilsbegründung herausgearbeitet hat. Der Gesetzgeber kritisiert in der Regelung die Abzugsvoraussetzung für ein häusliches Arbeitszimmer, indem er die Abzugsmöglichkeit auf die zwei im Gesetz genannten Fallgruppen (kein anderer Arbeitsplatz, Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung) begrenzt. Der Steuerpflichtige ist in den vom Gesetz genannten Fallgruppen auf einen häuslichen Arbeitsplatz angewiesen, weshalb das Gesetz typisierend davon ausgeht, dass die Aufwendungen hierfür nahezu ausschließlich betrieblich bzw. beruflich veranlasst sind, obwohl auch in diesen Fällen eine private Nutzung des Raumes nicht überprüft und damit nicht ausgeschlossen werden kann. Den angesprochenen Fallgruppen liegt daher die gesetzgeberische Überlegung zugrunde, dass die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in diesen Fällen erforderlich sind.
Tatsächlich verwendet das Gesetz den Begriff der Erforderlichkeit oder den Begriff der Notwendigkeit jedoch nicht. Vielmehr typisiert es mit den beiden genannten Fallgruppen die Erforderlichkeit der beruflichen oder betrieblichen Nutzung des Arbeitszimmers, ohne den Begriff der Erforderlichkeit in Gestalt eines unbestimmten Rechtsbegriffs zu einem Tatbestandsmerkmal zu erheben. Ein zusätzliches ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit über die beiden Fälle, in denen die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer überhaupt nur abzugsfähig sind, folgt daher weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der Gesetzesbegründung. Auch dies haben die obersten Richter der Republik bereits in ihrer vorgenannten Entscheidung vom 8.3.2017 in Rz. 14 der Urteilsbegründung klargestellt. Denn mit den beiden geregelten Fallgruppen sollen gerade Streitigkeiten über die Notwendigkeit eines Arbeitszimmers vermieden werden, wie nicht zuletzt aus der entsprechenden Bundestagsdrucksache zum seinerzeitigen Gesetzentwurf hervorgeht.
Insoweit ist das erstinstanzliche Finanzgericht von anderen (falschen) Grundsätzen ausgegangen. Denn es hat rechtsfehlerhaft die Erforderlichkeit des Arbeitszimmers für die Tätigkeit der Klägerin als maßgebend erachtet. Darauf, dass die Klägerin die Arbeiten, für die kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stand, am Küchentisch, im Esszimmer oder in einem anderen Raum hätte erledigen können, kommt es schlicht nicht an.
Vorliegend war die Sache dennoch nicht spruchreif. Zwar lässt das oberste Finanzgericht keinen Zweifel daran, dass es auf die Notwendigkeit eines Arbeitszimmers nicht ankommt, jedoch war vorliegend nicht geprüft worden, ob das Arbeitszimmer tatsächlich auch nahezu ausschließlich zur Einkünfteerzielung verwendet wurde oder aber neben der einkünfterelevanten Nutzung auch eine schädliche private Nutzung gegeben war.
Hinweis:
Für die Praxis kann daher definitiv abgeleitet werden, dass es vollkommen irrelevant ist, ob ein Arbeitszimmer auch tatsächlich für die Tätigkeiten, die dort erledigt werden, notwendig ist. Eines muss jedoch in der Praxis auch klar sein: Wenn eine Notwendigkeit zumindest nach den allgemeinen Umständen hinterfragt werden kann, wird das Finanzamt umso genauer darauf achten, ob der Raum auch tatsächlich nahezu ausschließlich für die Einkünfteerzielung genutzt wird oder nicht. Die Lebenserfahrung zeigt insoweit, dass wenn ein Raum für die Tätigkeit tatsächlich nicht notwendig ist, häufig auch noch eine anderweitige Nutzung erfolgt. Diese dürfte dann für die Absetzbarkeit der Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer schädlich sein. Dennoch entscheiden hier die Gegebenheiten des Einzelfalles. Fakt ist und bleibt nach der Entscheidung, dass das Arbeitszimmer nicht notwendig sein muss, damit insoweit der Werbungskostenabzug gelingt.
4. Für Immobilien-Eigentümer: Zum Nachweis einer kürzeren Restnutzungsdauer bei einem Gebäude
Bei Wirtschaftsgütern, deren Verwendung oder Nutzung durch den Steuerpflichtigen zur Erzielung von Einkünften sich erfahrungsgemäß auf einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt, ist jeweils für ein Jahr der Teil der Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzusetzen, der bei gleichmäßiger Verteilung dieser Kosten auf die Gesamtdauer der Verwendung oder Nutzung auf ein Jahr entfällt. Man spricht dabei auch von der Abschreibung in gleichen Jahresbeträgen bzw. der linearen Abschreibung. Die Absetzung bemisst sich hierbei nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des Wirtschaftsgutes. Abweichend von dieser betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer bestimmt sich die Abschreibung für ein zur Einkünfteerzielung genutztes Gebäude nach dem festen Prozentsatz der Regelung in § 7 Abs. 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Regelung stellt eine gesetzliche Typisierung der Nutzungsdauer im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 EStG dar.
Allerdings gibt es Ausnahmen. So können gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG anstelle der typisierten Nutzungsdauer die der tatsächlich kürzere Nutzungsdauer eines Gebäudes entsprechenden Abschreibungen vorgenommen werden. Nutzungsdauer ist dabei der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann. Die zu schätzende Nutzungsdauer wird bestimmt durch den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können. Auszugehen ist von der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, in dem sich das Wirtschaftsgut technisch abnutzt. Sofern die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die technische Nutzungsdauer ist, kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen. Ob den Abschreibungen für Abnutzung eine die gesetzlich vorgesehenen typisierten Zeiträume unterschreitende verkürzte Nutzungsdauer zugrunde gelegt werden kann, beurteilt sich regelmäßig nach den Verhältnissen des Einzelfalls und muss daher individuell entschieden werden. So auch bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 4.3.2008 unter dem Aktenzeichen IX R 16/07.
Es ist folglich Sache des Steuerpflichtigen, im Einzelfall eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen. Dies hat auch bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 28.7.2021 unter dem Aktenzeichen IX R 25/19 eindeutig und sehr praxisnah herausgearbeitet. Der Steuerpflichtige kann sich danach zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer eines zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäudes jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Erforderlich ist insoweit lediglich, dass die Darlegungen des Steuerpflichtigen Aufschluss über die maßgeblichen Gründe geben, welche die Nutzungsdauer im Einzelfall beeinflussen, und auf deren Grundlage der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann, im Wege der Schätzung mit hinreichender Bestimmtheit zu ermitteln ist. Solche Gründe können beispielsweise der technische Verschleiß sein, die wirtschaftliche Entwertung oder auch rechtliche Nutzungsbeschränkungen.
Die Bestimmung des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG räumt dabei dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht ein, ob er sich mit dem typisierten Abschreibungssatz zufrieden gibt oder eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer geltend macht und darlegt. Auszugehen ist im Rahmen der vom Finanzamt durchzuführenden Amtsermittlung von der Schätzung des Steuerpflichtigen, solange dieser Erwägungen zugrunde liegen, wie sie ein vernünftig wirtschaftender Steuerpflichtiger üblicherweise anstellt. So auch bereits der Bundesfinanzhof in seiner zuvor zitierten Entscheidung vom 28.7.2021. Da im Rahmen der Schätzung des Steuerpflichtigen nicht Gewissheit über die kürzere tatsächlichen Nutzungsdauer, sondern allenfalls größtmögliche Wahrscheinlichkeit verlangt werden kann, ist sie nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt. Auch dies ist bereits gerichtlich geklärt, beispielsweise durch die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 28.9.1971 unter dem Aktenzeichen VIII R 73/78 oder durch eine jüngere erstinstanzliche Entscheidung des Finanzgerichtes Köln vom 23.1.2001 unter dem Aktenzeichen 8 K 6294/95.
Entgegen den immer wieder zu hörenden Wünschen von Seiten der Finanzverwaltung ist die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens seitens des Klägers nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer. Wählt ein Steuerpflichtiger oder ein beauftragter Sachverständiger aus nachvollziehbaren Gründen eine andere Nachweismethode, kann diese Grundlage für eine Schätzung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer sein. Da im Rahmen der Schätzung nur die größtmögliche Wahrscheinlichkeit über eine kürzere tatsächlichen Nutzungsdauer verlangt werden kann, würde eine Verengung der Gutachtenmethodik oder eine Festlegung auf ein bestimmtes Ermittlungsverfahren die Anforderungen an die Feststellungslast übersteigen. Auch dies haben die obersten Finanzrichter der Republik in ihrer Entscheidung vom 28.7.2021 so herausgearbeitet.
Im vorliegenden Streitfall hatte der Kläger ein Wertgutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen vorgelegt, welches vom Amtsgericht in Auftrag gegeben wurde, also kein Parteigutachten darstellte. Der Gutachter kommt darin zu dem Ergebnis, dass die Restnutzungsdauer des Hauses 30 Jahre beträgt. Hierbei hat er wegen Modernisierung und Zustand als fiktives Baujahr das Jahr 1960 angegeben, obwohl das Gebäude im Jahr 1955 errichtet wurde. Nach seiner Einschätzung bzw. der Einschätzung der Eigentümer entsprachen sowohl die Wohnung im Obergeschoss als auch die im Dachgeschoss der Ausstattung von 1955. Dies wurde faktisch dadurch bestätigt, dass in den nach der Anschaffung folgenden Jahren umfangreiche Sanierungsarbeiten durchgeführt wurden, welche als anschaffungsnahe Herstellungskosten in die Abschreibungsbemessungsgrundlage eingeflossen sind. In seiner Wertermittlung für das streitige Gebäude musste der Gutachter das Alter und die Restnutzungsdauer des Gebäudes einbeziehen. Nach der auf den Stichtag der Bewertung der streitigen Immobilie geltenden Wertverordnung bestimmt sich eine Wertminderung wegen Alters nach dem Verhältnis der Restnutzungsdauer zur Gesamtnutzungsdauer der baulichen Anlage. Sie ist in einem Vomhundertsatz des Herstellungswerts auszudrücken. Ist die bei ordnungsgemäßem Gebrauch übliche Gesamtnutzungsdauer der baulichen Anlagen durch Instandsetzungen oder Modernisierungen verlängert worden oder haben unterlassene Instandhaltungen oder andere Gegebenheiten zu einer Verkürzung der Restnutzungsdauer geführt, soll der Bestimmung der Wertminderung wegen Alters die geänderte Restnutzungsdauer und die für die baulichen Anlagen übliche Gesamtnutzungsdauer zugrunde gelegt werden.
Nach Auffassung des Finanzgerichts Münster hat der Sachverständige aufgrund sachlicher Kriterien eine Restnutzungsdauer von 30 Jahren zugrunde gelegt. Unter anderem hat er festgestellt, dass erhebliche Instandsetzungsarbeiten bis zur Kernsanierung mit Erneuerung und Ergänzung der gesamten Installation vom Kellergeschoss bis zum Dachgeschoss sowie an Fassade und dem Dach erforderlich waren, um eine nachhaltige Nutzung mit modernem Wohnraum zu schaffen. Insoweit folgt das erstinstanzliche Gericht den fundierten Ausführungen des Gutachters und kann feststellen, dass die tatsächliche Nutzungsdauer der streitigen Immobilie zum Zeitpunkt der Anschaffung auf 30 Jahre verkürzt war.
Wie in dem vom Bundesfinanzhof mit Urteil vom 28.7.2021 entschiedenen Verfahren hat der Gutachter eine modellhafte Ermittlung der Restnutzungsdauer durchgeführt. Während der Gutachter in dem Fall des Bundesfinanzhofs das Modell gemäß Anlage vier der Sachwertrichtlinie vom 5.9.2012 angewendet hat, hat der Gutachter im Streitfall sowohl eine Ertragswertermittlung als auch eine Vergleichswertermittlung nach der Wertverordnung durchgeführt. Wie im Fall vor dem Bundesfinanzhof erfolgte neben der modellhaften Berechnung eine Inaugenscheinnahme des Gebäudes, um die Bauweise und etwaige ausstehende Modernisierungs- bzw. Sanierungsarbeiten beurteilen zu können. Der festgestellte Modernisierungsstau führte im Streitfall zu der für das Gericht nachvollziehbaren Einschätzung des Gutachters, dass von einer Restnutzungsdauer von 30 Jahren auszugehen ist. Dieses Ergebnis sahen die erstinstanzlichen Richter jedenfalls nicht erheblich außerhalb des zulässigen Schätzungsrahmens. Nach alledem war insoweit eine jährliche Abschreibung mit einem Satz von 3,33 % zugrunde zu legen.
Tipp:
Für Vermieter kann es sich daher lohnen, die eigene Immobilie zu betrachten und auch hier gegebenenfalls eine verkürzte Restnutzungsdauer für die Abschreibung anzusetzen. Dies muss tatsächlich nicht unbedingt im Jahr der Anschaffung der Immobilie geschehen. Auch wenn die Immobilie schon Jahre im Besitz ist, kann aufgrund der Abschnittsbesteuerung noch eine kürzere Restnutzungsdauer und somit eine höhere Abschreibung angesetzt werden. Voraussetzung ist lediglich, dass diese auch tatsächlich argumentativ untermauert werden kann.
5. Für Arbeitnehmer und Arbeitgeber: Sind auch Nebenkosten bei der Steuerbefreiung für Gesundheitsförderung steuerfrei?
Ausweislich der gesetzlichen Vorschrift in § 3 Nummer 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbrachte Leistungen des Arbeitgebers zur Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes und der betrieblichen Gesundheitsförderung steuerfrei. Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist allerdings, dass diese Leistungen hinsichtlich Qualität, Zweckbindung und Zielgerichtetheit den Anforderungen des fünften Sozialgesetzbuches genügen. Ebenso sind sie nach der aktuellen Gesetzeslage nur steuerfrei, soweit sie im Kalenderjahr 600 Euro pro Arbeitnehmer nicht übersteigen.
Vor dem Hintergrund dieser Regelung muss nun aktuell der Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen VI R 24/21 klären, ob unter die Steuerbefreiung zur Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes und der betrieblichen Gesundheitsförderung auch die mit der eigentlichen Präventionsleistung im Zusammenhang stehenden Verpflegungs-, Reise- und Unterkunftskosten sowie andere Nebenleistungen fallen.
Besonders erwähnenswert ist bei dieser Streitfrage, dass das erstinstanzliche Thüringer Finanzgericht in seiner Entscheidung vom 14.10.2021 unter dem Aktenzeichen 1 K 655/17 die Steuerfreiheit der Nebenleistung bejaht hat. Wer daher in dieser Sache auch auf eine Nebenleistung der Gesundheitsförderung die Steuerfreiheit in Anspruch nehmen möchte, sollte sich an das Musterverfahren anhängen.
Zur Begründung des Einspruches kann dabei auf die Urteilsgründe der Thüringer Entscheidung zurückgegriffen werden. Dort heißt es beispielsweise (auszugsweise) wie folgt:
Schon ausweislich der Gesetzesbegründung zur Regelung des § 3 Nummer 34 EStG sollte die Steuerbefreiungsvorschrift dazu führen, die Bereitschaft des Arbeitgebers zu erhöhen, seinen Arbeitnehmern Dienstleistungen zur Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes sowie zur betrieblichen Gesundheitsförderung anzubieten, in denen der Arbeitgeber entsprechende Barzuschüsse für die Durchführung derartiger Maßnahmen aufwendet. Dies ist zu entnehmen der Gesetzesbegründung in der Bundestagsdrucksache 16/10.189 auf Seite 47.
Eine gesetzliche Definition dieser Dienstleistung erhält das Gesetz hingegen nicht. Zur sachlichen Eingrenzung der Steuerbefreiung wurde im Einkommensteuerrecht lediglich auf die § § 20 und 20a des Fünften Sozialgesetzbuches Bezug genommen. Danach sollten insbesondere diejenigen Leistungen, die im Leitfaden Prävention der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) aufgeführt sind, gefördert werden. Die Gesetzesbegründung wiederum benennt die im Leitfaden Prävention genannten Handlungsfelder „Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes (sogenannte Primärprävention)“ sowie „betriebliche Gesundheitsförderung“. Wegen der benannten Handlungsfelder wird auf die Gesetzesbegründung insoweit im Weiteren auch in der Urteilsbegründung der Thüringer Richter verwiesen.
Ob und inwieweit Maßnahmen des Arbeitgebers im sogenannten „Leitfaden Prävention“ des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung aufgeführt sein müssen, um zu einer Anwendung der Steuerbefreiung für Gesundheitsförderung nach § 3 Nummer 34 EStG gelangen zu können, ist zweifelhaft. Tatsächlich konnten dies die Thüringer Richter im vorliegenden Streitfall jedoch offenlassen.
§ 20 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Sozialgesetzbuches sieht die Erbringung von Leistungen zur primären Prävention vor. Diese Leistungen sind nicht näher definiert. Eine Legaldefinition des Begriffs „primäre Prävention“ wurde erst später in das fünfte Sozialgesetzbuch aufgenommen. Danach handelt es sich bei Primärprävention um die „Verhinderung und Verminderung von Krankheitsrisiken“. Diese Definition kann auch für den vorliegenden Rechtsstreit übernommen werden.
Weiterhin sollen entsprechende Leistungen zur Primärprävention den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern. Diese Bestimmung des Leistungszwecks entspricht auch der Regelung der Befreiungsvorschriften im Einkommensteuergesetz. Weitere sachliche Anforderungen an die Leistung zur Primärprävention sind dem Fünften Sozialgesetzbuch selbst nicht zu entnehmen. Vielmehr wird für die Konkretisierung dieser allgemeinen Anforderungen für die Leistungserbringung durch die Krankenkassen und auf untergesetzliche Regelwerke verwiesen. Insoweit beschließt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen gemeinsam und einheitlich unter Einbeziehung unabhängigen Sachverstandes prioritäre Handlungsfelder und Kriterien für Leistungen, insbesondere hinsichtlich des Bedarfs, der Zielgruppen, der Zugangswege, der Inhalte und der Methodik.
Der Gesetzesbegründung zur Befreiungsvorschrift im Einkommensteuergesetz ist weiter zu entnehmen, dass der „Leitfaden Prävention“ nicht ausschließlich für die Anwendung der Befreiungsvorschriften entscheidend ist. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber den Leitfaden nicht als allein maßgeblich für die Gewährung der Steuerfreiheit betrachtet. Darüber hinaus beschränkt sich der Gesetzeswortlaut des Fünften Sozialgesetzbuchs zur Bestimmung der Leistung der Krankenkassen auf den Begriff der „Primärprävention“ oben.
Dem Verweis auf das Fünfte Sozialgesetzbuch im Einkommensteuergesetz zur Bestimmung der Anforderung an Qualität, Zweckbindung und Zielgerichtetheit der Gesundheitsleistungen können jedoch in Ermangelung unmittelbar im Gesetz bestimmter materieller Anforderungen an die Leistung der Gesundheitsförderung keine weiteren Einschränkungen für die Begrenzung der Steuerfreiheit entnommen werden. Insoweit kann also nicht auf den Leitfaden zurückgegriffen werden. Dies wäre mit dem Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung nicht zu vereinbaren.
Vielmehr ist es für die Anwendung der Steuerbefreiung für Gesundheitsförderung ausreichend, wenn die Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit, die der Arbeitgeber bezuschusst hatte, Mindestanforderungen an Qualität und Zielgerichtetheit erfüllten. Die gesetzlichen Mindestanforderungen können jedenfalls dann als erfüllt angesehen werden, wenn die betreffenden Maßnahmen durch Physiotherapeuten, Heilpraktiker und qualifizierte Fitnesstrainer erbracht werden. In diesem Sinne hat doch bereits das erstinstanzliche Finanzgericht Bremen in einer Entscheidung vom 11.2.2016 unter dem Aktenzeichen 1 K 80/15 entschieden. Diese Voraussetzungen erfüllen die für die Durchführung der Veranstaltung engagierten Trainer im Entscheidungsfall unstreitig.
Soweit das Finanzamt argumentiert, dass die Steuerfreistellung für Gesundheitsförderung ausscheidet, weil keine (vollständige) Förderung der Veranstaltung durch die Krankenkasse erfolgt, ist diese Gesetzesauslegung nach Auffassung der Thüringer Richter nicht haltbar. Würden nämlich die jeweiligen Aufwendungen für betriebliche Gesundheitsmaßnahmen vollständig von den Krankenkassen übernommen, würde sich die Frage der Steuerfreistellung lediglich noch in Einzelfällen stellen. Die Vorschrift würde ihres wesentlichen Anwendungsbereichs beraubt und wäre weitgehend überflüssig. Denn die Frage der Kostenerstattung durch den Arbeitgeber würde sich im Regelfall nicht stellen, wenn zuvor die Krankenkassen die Aufwendungen entsprechender Gesundheitstage übernehmen würden.
Weiter hat die Finanzverwaltung im vorliegenden Streitfall geltend gemacht, dass die Förderung von Übernachtungs- und Verpflegungsaufwendungen nach dem Leitfaden Prävention ausgeschlossen sei. Eine Steuerbefreiung könne daher nicht im Rahmen des § 3 Nummer 34 EStG stattfinden. Allerdings ist dieser Argumentation entgegenzuhalten, dass der Leitfaden Prävention jeweils die Förderung einer Gesundheitsmaßnahme durch eine Krankenkasse beschreibt. Wie zuvor dargestellt, richtet sich jedoch die Anwendung der Steuerbefreiungsvorschrift für Gesundheitsförderung nach anderen Maßstäben. Weder verweist das Gesetz auf den jeweiligen gültigen Leitfaden Prävention in Form einer Rechtsgrundverweisung noch sind die Kriterien des GKV-Spitzenverbandes für die steuerliche Begünstigung nach § 3 Nummer 34 EStG allein ausschlaggebend. Gewährt der Arbeitgeber Leistungen zur Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes und der betrieblichen Gesundheitsförderung, ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung darüber zu befinden, ob ein Leistungspaket vorliegt, das lediglich einer einheitlichen Behandlung zugänglich ist. Das Thüringer Finanzgericht wendet insoweit die Grundsätze an, die die Rechtsprechung zur Aufteilung von Zuschüssen in Arbeitslohn bzw. einer Zuwendung im betrieblichen Eigeninteresse entsprechend der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 21.11.2018 unter dem Aktenzeichen VI R 10/17 entwickelt hat. Danach ist entscheidend, ob sich der Charakter einer Sachzuwendung nur einheitlich (oder auch unterschiedlich) beurteilen lässt
Vorliegend kommt das Thüringer Finanzgericht zu dem Schluss, dass eine einheitliche Maßnahme gegeben ist, und Positionen wie Übernachtungskosten, Verpflegungskosten und Seminarkosten insoweit nicht einer unterschiedlichen Betrachtung zugänglich sind. Zu den nach § 3 Nummer 34 EStG steuerbefreiten Leistungen zur Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes und der betrieblichen Gesundheitsförderung gehören daher auch die mit der eigentlichen Präventionsleistung im Zusammenhang stehenden Verpflegungs-, Reise- und Unterkunftskosten sowie natürlich auch andere Nebenleistungen.
6. Für Immobilien-Eigentümer: Ermittlung des Gewinns aus einem privaten Veräußerungsgeschäft nach Entnahme aus einem Betriebsvermögen
Zugegeben, der Sachverhalt des hier zugrunde liegenden Streitfalls ist tatsächlich schon ein wenig außergewöhnlich. Dennoch zeigt die Entscheidung des Bundesfinanzhofs, wie grundsätzlich bei der Ermittlung eines Gewinns aus einem privaten Veräußerungsgeschäft zu verfahren ist.
Zunächst aber einmal kurz zum Sachverhalt. Im Streitfall haben Kinder von ihrem Vater im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge ein Grundstück erhalten, welches sie fortan zur Vermietung und Verpachtung nutzten. Das Grundstück befand sich beim Vater im land- und forstwirtschaftlichen Betriebsvermögen. Im Zeitpunkt der Entnahme wurde zwar der Zeitwert des Grundstückes angegeben, dennoch wurden bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft keine weiteren Konsequenzen aus der Entnahme gezogen. Insbesondere wurde kein Entnahmegewinn angesetzt, indem der Zeitwert des Grundstückes dem Buchwert des Grundstückes gegenübergestellt wurde.
Innerhalb von zehn Jahren nach der Entnahme veräußerten die Kinder nun die Immobilie im Rahmen eines privaten Veräußerungsgeschäftes. Dabei kommt nun die Streitfrage auf, welcher Wert denn von dem Veräußerungserlös abgezogen werden kann. Kann der damalige Zeitwert im Zeitpunkt der Entnahme mindernd abgezogen werden, auch wenn dieser tatsächlich nicht bei der Entnahme versteuert wurde? Oder kann wegen der unterlassenen Versteuerung der Entnahme daher nur der seinerzeitige Buchwert im Betriebsvermögen des Vaters mindernd berücksichtigt werden?
Der Bundesfinanzhof führt in seiner Entscheidung vom 6.12.2021 unter dem Aktenzeichen IX R 3/21 dazu wie folgt aus:
Zum privaten Veräußerungsgeschäft gehören Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken und Rechten, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Als Anschaffung gilt dabei gemäß gesetzlicher Fiktion in § 23 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auch die Überführung eines Wirtschaftsguts in das Privatvermögen des Steuerpflichtigen durch Entnahme oder Betriebsaufgabe. Bei einem unentgeltlichen Erwerb ist dem Einzelrechtsnachfolger für Zwecke dieser Vorschrift die Anschaffung oder die Überführung des Wirtschaftsgutes des Privatvermögens des Rechtsvorgängers zuzurechnen, wie es in § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG ausdrücklich geregelt ist.
Fraglich ist nun, wie im vorgenannten Sachverhalt der Gewinn aus dem privaten Veräußerungsgeschäft zu ermitteln ist. Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 EStG ist der Gewinn oder Verlust aus Veräußerungsgeschäften der Unterschied zwischen Veräußerungspreis einerseits und den Anschaffungs- oder Herstellungskosten und den Werbungskosten andererseits. In den Fällen einer vorherigen Entnahme aus dem Betriebsvermögen tritt an die Stelle der Anschaffungs- oder Herstellungskosten der bei der Entnahme oder der Betriebsaufgabe angesetzte Wert.
Soweit zumindest der Grundsatz. An die Stelle der Anschaffungs- oder Herstellungskosten tritt der bei der Entnahme angesetzte Wert nur insoweit, als er der Steuerfestsetzung des Steuerpflichtigen, der das Wirtschaftsgut entnommen hat, zugrunde gelegen hat. Wird hingegen ein Wirtschaftsgut ohne Aufdeckung der stillen Reserven (also erfolgsneutral) aus dem Betriebsvermögen entnommen, ist der bis zum Zeitpunkt der Entnahme erfasste Buchwert der angesetzte Wert im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 3 EStG.
Dies folgt nach Auffassung der obersten Finanzrichter der Republik bereits aus dem Wortlaut der gesetzlichen Vorschrift in § 23 Abs. 3 Satz 3 EStG. Danach tritt an die Stelle der Anschaffungs- oder Herstellungskosten der „angesetzte“ Entnahmewert. Ein Wert ist nur im Sinne der Norm „angesetzt“, wenn er einer Steuerfestsetzung zugrunde gelegen hat. Wird ein Wirtschaftsgut erfolgsneutral entnommen, entspricht der angesetzte Wert dem Buchwert des Wirtschaftsguts im Zeitpunkt der Entnahme. Denn bei der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich entsteht durch die Ausbuchung des Wirtschaftsgutes in Höhe des Buchwertes eine Vermögensminderung. Die Erfolgsneutralität dieser Buchung kann daher nur durch den Ansatz einer Entnahme in derselben Höhe erreicht worden sein. Nichts anderes gilt, soweit das Wirtschaftsgut bei der Gewinnermittlung durch Einnahmenüberschussrechnung aus dem laufend zu führenden Verzeichnis „entnommen“ worden ist.
Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung, auch wenn sie vorliegend natürlich zu einem nachteiligen Ergebnis führt. Durch den Ansatz des Entnahmewertes, der der Steuerfestsetzung des Rechtsvorgängers zugrunde gelegen hat, wird sichergestellt, dass Wertsteigerungen (also die stillen Reserven), die in dem Zeitraum zwischen Anschaffung oder Herstellung und Entnahme entstanden sind und der Entnahmebesteuerung unterlegen haben, bei der späteren Veräußerung nicht erneut steuerlich erfasst und damit doppelt besteuert werden. Sind aber stille Reserven tatsächlich nicht erfasst worden, so kann es zu keiner Doppelbesteuerung kommen. Zudem soll durch die Bezugnahme auf den angesetzten Entnahmewert sichergestellt werden, dass im Falle einer steuerbaren Veräußerung alle bis zur Veräußerung entstandenen stillen Reserven einmal der Besteuerung unterworfen werden. Denn es ist von den angesetzten und nicht von dem anzusetzenden Entnahmewert auszugehen. Der angesetzte Entnahmewert tritt daher auch dann an die Stelle der Anschaffungs- oder Herstellungskosten, wenn er fehlerhaft zu hoch oder zu niedrig angesetzt worden ist.
Dieses Auslegungsergebnis wird auch durch die Gesetzeshistorie bestätigt. Mit der Neuregelung durch das seinerzeitige Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 wurde erstmals auch die Veräußerung eines zuvor aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen überführten Grundstücks innerhalb der zehnjährigen Frist der Besteuerung unterworfen. In dem seinerzeitigen Gesetzentwurf wird zur Begründung angeführt: „Nicht selten kommt es vor, dass Steuerpflichtige bei der Entnahme von Wirtschaftsgütern aus dem Betriebsvermögen einen Wert angeben, der sich dann im Rahmen einer späteren steuerfreien Veräußerung aus dem Privatvermögen heraus als zu niedrig erweist. Die Möglichkeiten der Finanzverwaltung, derartigen Praktiken durch genauere Prüfung des Entnahmewertes entgegenzuwirken, sind angesichts der sachtypischen Beweisnot gering. Daher wird die Veräußerung zukünftig nach § 23 EStG besteuert, wenn die Entnahme bei Grundstücken und ähnlichen Rechten weniger als zehn Jahre zurückliegt.“
Hintergrund der Neuregelung war damit jedenfalls auch, dass im Fall einer steuerbaren Veräußerung innerhalb von zehn Jahren auch die stillen Reserven nachträglich besteuert werden, die bereits im Zeitpunkt der der Veräußerung vorgehenden Entnahme hätten aufgedeckt und besteuert werden müssen. Dieser Besteuerungsansatz fußt damit auch auf der Annahme, dass eine rückwirkende Änderung des Steuerbescheids, in dem der zutreffende Entnahmegewinn zu erfassen gewesen wäre, nicht (mehr) in Betracht kommt. Auf Vorschlag des Finanzausschusses wurde seinerzeit zur Konkretisierung der maßgebenden Anschaffungs- oder Herstellungskosten bei einer vorherigen Entnahme auf den anzusetzenden Wert abgestellt. Da unter dem anzusetzenden Wert im Sinne der Regelung auch der im Zeitpunkt der Entnahme zutreffende Wert subsumiert werden konnte, drohte das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, bisher nicht erfasste Entnahmegewinne im Zeitpunkt der Veräußerung nachträglich der Besteuerung zuzuführen, verfehlt zu werden. Deshalb wurde durch das Steuerbereinigungsgesetz 1999 in Satz 3 der Vorschrift das Wort „anzusetzende“ durch das Wort „angesetzte“ ersetzt, um dem vom Gesetzgeber zum Ausdruck gebrachten Willen besser Rechnung zu tragen.
Im Ergebnis bleibt daher der Einwand der hier klagenden Steuerpflichtigen, im Rahmen der Berechnung des Veräußerungsgewinns sei der „angesetzte Wert“ erstmals zu ermitteln, wenn (im Streitfall) im Zeitpunkt der Entnahme des Grundstücks kein Wert angesetzt worden sei, ohne Erfolg. Die Normen des § 23 Abs. 3 EStG lässt keine Auslegung zu, einen der Besteuerung nicht zugrunde gelegten Teilwert nachträglich (fiktiv) zu ermitteln und bei der Berechnung des Veräußerungsgewinns zu berücksichtigen. Ein Steuerpflichtiger, der keinen Entnahmegewinn erklärt hatte, darf nicht bessergestellt sein als ein Steuerpflichtiger, der einen solchen zu niedrig erklärt hat.
Ausgehend von diesen Grundsätzen muss daher bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns der gegenzurechnende Wert dem Buchwert entsprechen, da bei der seinerzeitigen Entnahme kein anderer Wert aufgrund der Erfolgsneutralität angesetzt worden ist.